Dutt: „Man muss Leverkusens Sehnsucht nach Titeln bedienen“

  • Nach der erfolgreichen Mission in Freiburg spricht Trainer ROBIN DUTT (46) über seine Zielvorgaben für Bayer 04 in der Bundesliga und in der Champions League. Über Michael Ballack und Arturo Vidal. Auch über die Perspektiven Freiburgs und Torjäger Cissé.



    kicker: Ihr Kollege Jupp Heynckes hat in Freiburg eine klare Handschrift des Trainers erkannt. Welche ist das?


    Dutt: Keine Ahnung. Eigentlich ist es gar nicht gut, wenn die leicht zu erkennen ist. Dann ist sie auch leicht zu entschlüsseln und zu bekämpfen. Mir wäre lieber, wenn meine Handschrift so variabel ist, dass man sich schon sehr gut damit auseinandersetzen muss, um sie zu erkennen.


    kicker: Welche typischen Komponenten des Freiburger Spiels werden wir auch in Leverkusen sehen?


    Dutt: Das Konzept Leverkusen wird sich orientieren an der Qualität der Spieler. Da wird es eine Analyse geben, was aus meiner und Leverkusener Sicht richtig gut war. Das sollten wir beibehalten. Und anderes als Weiterentwicklung draufpacken.


    kicker: Sie haben sicher allein schon aus dem Spiel vom Samstag Dinge erkannt, wo es anzusetzen gilt?


    Dutt: Ja. Aber das sind keine Dinge für die Öffentlichkeit.


    kicker: Etwa das Spiel schnörkelloser, effizienter zu machen?


    Dutt: Eine Mannschaft, die 68 Punkte holt und Zweiter wird, kann nicht so viel falsch gemacht haben. Sie hat ein sehr hohes technisches Niveau. Dazu muss auch die Mentalität, die Körpersprache passen. Grundsätzlich hat das Spiel mit dem Ball für Topmannschaften einen höheren Stellenwert als für Teams, die wie der SC Freiburg um den Erhalt der Liga kämpfen.


    kicker: Die Latte liegt hoch. Welche Ziele geben Sie aus?


    Dutt: Man muss in Leverkusen eine Bandbreite hinbekommen. Das Minimalziel ist, wieder die Champions League zu erreichen. Wobei viel mehr Mannschaften Anspruch auf diese drei, vier Plätze erheben, als einem lieb ist. Wenn das gelingt, ist schon viel erreicht. Gleichzeitig aber muss man auch diese Sehnsucht nach mehr, die Sehnsucht nach Titeln bedienen. Ohne den Boden unter den Füßen zu verlieren. Das ist eine große Herausforderung.


    kicker: Und wie lautet Ihre Vorgabe in der Champions League?


    Dutt: Da sollte man sich kein Minimalziel setzen. Für Leverkusen muss es das Ziel sein, ein frühzeitiges Ausscheiden nicht in Kauf zu nehmen und so weit wie möglich zu kommen. Und wenn Schalke 04 ins Halbfinale kommen kann, dann ist das auch für Leverkusen möglich.


    kicker: Ist dieser Aufstieg Ihr Ritterschlag als Trainer?


    Dutt: Ich bin Leverkusen dankbar für die Chance und sehe es als Anerkennung für unsere Arbeit in Freiburg.


    kicker: Geht für Sie mit der Champions League ein Traum in Erfüllung?


    Dutt: Das ist die falsche Metapher, weil ich da nie gezielt draufhingearbeitet habe. Das hat sich ergeben. Wenn ich eines gut kann, dann ist das, im Hier und Jetzt Vollgas zu geben. Aber es ist immer das Ziel, sich mit den Allerbesten zu messen.


    kicker: Eine Topmannschaft wie Barcelona zieht ihre Spielweise durch, egal was kommt. Das ist nicht Ihre Vorstellung von Variabilität.


    Dutt: Deshalb geben sie auch auf ihrem Niveau immer mal wieder einen Titel ab und verlieren mal gegen Inter Mailand unter Mourinho. Wären sie da mal in der Lage gewesen, eine Flanke zu schlagen und einen Kopfball zu verwerten, wären sie vielleicht auch da weitergekommen.


    kicker: Wie steht die Bundesliga im internationalen Vergleich da?


    Dutt: Die Liga hat sich enorm entwickelt und muss sich vor niemandem verstecken.


    kicker: Wo hat die Liga zugelegt?


    Dutt: Im Spieltempo, der Passqualität und in der taktischen Auseinandersetzung. Die ist viel anspruchsvoller geworden, manchmal muss man während des Spiels reagieren. Dass es in Spanien zwei und in England zwei, drei herausragende Mannschaften gibt, ist dem Geld geschuldet. Mit diesem Geld wäre in Deutschland auch jedes Jahr ein Verein in der Champions League ganz vorne dabei. Es gibt keine spannendere und ausgeglichenere Liga auf diesem Niveau als die Bundesliga. Wenn allein eine Mannschaft aus dem hinteren Mittelfeld wie Schalke es ins Halbfinale schafft. Auch gegen den 18. Musst du immer Vollgas geben, sonst hast du keine Chance.


    kicker: Spieler benötigen oft einige Monate Anlaufzeit, ehe sie bei Ihnen funktionieren. Verlangen Sie so viel?


    Dutt: Das galt spezifisch für Freiburg. Wir mussten eben Spieler holen, die aus unterschiedlichen Gründen andere nicht holen wollten. Die brauchen eben Zeit. In Leverkusen ist das anders. Da sind 95 Prozent der Spieler schon da, kennen den Verein und haben hohe Qualität. Und auf diesem Niveau haben wir ohnehin nicht lange Zeit.


    kicker: Kann hohe individuelle Klasse auch hinderlich sein, weil man in anderen Bereichen nachlässt?


    Dutt: Bayern München hat den individuell besten Kader, ist aber abgeschlagen auf Platz drei gelandet. Dortmund hat ja gezeigt, wie man das als Team regelt. Auch Leverkusen mit einer sehr jungen Mannschaft mit viel weniger internationalen Erfahrung. Manche Mannschaften, die zu viele Egoisten haben, finden wir zwischen Platz 12 und 18.


    kicker: Viele sind gespannt, wie Sie mit Stars und gestandenen Nationalspielern klarkommen.


    Dutt: Das höre ich, seit ich Trainer bin.


    kicker: Dennoch ist Leverkusen eine andere Kategorie als Freiburg. Bereiten Sie sich auf Michael Ballack anders vor als auf Heiko Butscher?


    Dutt: Genau. Ich bereite mich auf jeden Menschen anders vor. Natürlich ist der Umgang mit einem Spieler, der in der Öffentlichkeit so wahrgenommen wird, komplett anders als mit einem Spieler, der gerade aus der A-Jugend kommt. Jeder tickt anders, jeder hat andere Befindlichkeiten. Auf jeden einzelnen Namen in diesem Kader werde ich mich in ruhigen Stunden vorbereiten.


    kicker: Die Diskussion um seine Nationalelfkarriere wird auch Sie begleiten. Was raten Sie ihm?


    Dutt: Wenn ich ihm etwas zu raten habe, dann nicht über den kicker, sondern bei einer Tasse Kaffee im vertraulichen Gespräch.


    kicker: Sie verlangen läuferisch absolutes Topniveau. Kann er das noch bringen?


    Dutt: Warum nicht?


    kicker: Womöglich, weil er nicht mehr der Jüngste
    ist?


    Dutt: Hyypiä hat auch mit 37 bis zuletzt Topleistung
    gebracht. Das ist keine Frage des Alters.


    kicker: Also muss er sich einfach durchsetzen wie
    jeder andere.


    Dutt: Keiner ist wie jeder andere. Jeder ist für mich als einzelner Mensch und Spieler in seinem Wert fürs Team differenziert zu bewerten.


    kicker: Werden Sie darauf drängen, Vidal zu halten?


    Dutt: Das muss das Management entscheiden. Es gibt viele Für und Wider. Der Verein muss abwägen. Leverkusen bei Vidal, Freiburg bei Cissé. Das ist Business as usual undeher ein Luxusproblem.


    kicker: Braucht der Kader Ergänzungen?


    Dutt: Im Großen und Ganzen steht er, punktuell muss man sich immer etwas offenhalten. Grundsätzlich kann sich Bayer einen etwas kleineren Kader leisten, weil viele Spieler verschiedene Positionen auf hohem Niveau besetzen können.


    kicker: Wird es auch bei Bayer einen minutiös auf jeden Gegner abgestimmten Spielplan geben?


    Dutt: Da muss man abwarten, was möglich ist. Gar nicht nach dem Gegner richten, geht fast nicht mehr. Ich muss abwägen, wo es Sinn macht, auf gewisse Dinge einzugehen, und wo wir sagen, das interessiert uns nicht. Dieses Bewusstsein, es zuletzt in Freiburg aus eigener Kraft geschafft zu haben, wird die jungen Spieler stärken, auch das wird in meine Planung einfließen.


    kicker: Ist Cissé reif für einen großen Klub, wo liegt seine Grenze?


    Dutt: Man sollte nicht bei einem Spieler der 25 ist und 22 Tore schießt, von Grenzen reden. Bislang hat er noch keine erreicht. Außer beim Versuch, Mario Gomez zu überholen. Aber damit kann er leben.


    kicker: Drittletzter der Rückrunde, womöglich elementare Abgänge – machen Sie sich Sorgen um den SC?


    Dutt: Nein, überhaupt nicht. Wir haben in der Hinrunde einige Punkte mehr geholt als erwartet und in der Rückrunde einige weniger als möglich bei gleichbleibenden Leistungen. Grundsätzlich war es auch an unseren schlechten Tagen unangenehm, gegen uns zu spielen. Wir haben gegen alle Gegner knappe Ergebnisse erzielt. Wichtige Abgänge hatte Freiburg jedes Jahr. Vor der Saison kam der Experte Basler zum Ergebnis: Vorne nichts und hinten nichts. Jetzt sind wir Neunter und Cissé ist der gehypte Mann. Vielleicht wird Stefan Reisinger nächstes Jahr Torschützenkönig. Realistisch gesehen, wird man sich aber darauf einstellen müssen, bis zum letzten Tag um die Klasse zu kämpfen. Ob in Freiburg Dutt, Finke oder Sorg Trainer ist, macht da keinen großen Unterschied.


    kicker: Graut Ihnen schon vor den Spielen gegen den SC Freiburg?


    Dutt: Einerseits freue ich mich drauf, andererseits weiß ich, wie schwer das wird, weil man sich in- und auswendig kennt. Für uns wird das sicherlich die schwierigere Aufgabe.


    INTERVIEW: MICHAEL PFEIFER





    Quelle: kicker-Printausgabe vom 19.05.11