Es war ein Jahr wie im Rausch. ANDRÉ SCHÜRRLE (20) debütierte in der Nationalelf, schoss Mainz in die Europa League und spielt mit Leverkusen künftig in der Königsklasse. Hier spricht er über Nowitzki, Podolski, Sahin und seine Liebe: Geschwindigkeit.
Fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit erscheint André Schürrle am Treffpunkt, dem „Haasekessel“ am Mainzer Bruchweg. Um seinen Hals baumelt ein modisches, schwarzes Halstuch. Der Nationalspieler setzt sich, bestellt ein Wasser und schaut sich die Zeitung, die auf dem Tisch liegt, genauer an. Im Sportteil prangt ein großes Foto von Basketballstar Dirk Nowitzki.
André Schürrle: Unglaublich, was Nowitzki in den USA leistet. Als die NBA früher noch im Fernsehen lief, habe ich sie intensiv verfolgt. Zuletzt ging das leider nicht mehr. Aber die Ausschnitte seiner 48-Punkte-Gala gegen Oklahoma habe ich gesehen. Wahnsinn.
kicker: Was kann sich ein André Schürrle von einem herausragenden Sportler wie Nowitzki abschauen?
Schürrle: Gerade von ihm einiges. Er musste manchen Rückschlag in seiner Karriere hinnehmen und hat noch nie das ganz große Ding gewonnen. Aber trotzdem kommt er jedes Jahr zurück und ist stets einer der Besten. Diese Mentalität imponiert mir immens.
kicker: Was noch?
Schürrle: Dieses Streben nach Perfektion. Das zeichnet alle großen Sportler aus. Ich las, dass Nowitzki nachts seinen Privatcoach anruft und in eine Sporthalle fährt, weil er unbedingt Körbe üben muss. Er wirft tausendmal auf den Korb, um sein Spiel zu perfektionieren. Ähnlich ist es im Fußball. Bestimmte Abläufe muss man üben, üben, üben, damit sie hundertprozentig sitzen.
kicker: Ist dieses hohe Anspruchsdenken in ihren Genen verankert?
Schürrle: Ein Stück weit ist es bei mir vorhanden. Aber richtig geweckt hat es Thomas Tuchel. Bei ihm muss immer alles perfekt sein. Er lebt vor, sich nie mit dem Erreichten zufriedenzugeben, sondern ständig Neues auszuprobieren.
kicker: Ist das nicht auf Dauer nervig?
Schürrle: Nur so wird man besser. Seit ein paar Jahren ziehe ich täglich meine Programme durch, arbeite viel im körperlichen Bereich, an der Schnelligkeit, der Stabilität, dem Torabschluss und der Ballan- und Mitnahme. Und seit einiger Zeit merke ich, dass ich mich auf dem Spielfeld immer wohler fühle. Aber Fakt ist, dass noch einiges fehlt.
kicker: Tuchel lobte ihr verbessertes Freilaufverhalten. Aber isoliert lässt es sich wohl kaum trainieren.
Schürrle: Stimmt. Da hilft es, Weltklassespieler zu beobachten. Nehmen sie Javier Hernandez von Manchester United im Halbfinale der Champions League. Der denkt oft schon an den übernächsten Pass. Bevor der Mitspieler den Ball am Fuß hat, weiß Chicharito, wie er laufen muss. Und der Kollege wiederum weiß, wohin er passen muss. Kein Wunder, dass er so oft alleine vor Neuer auftauchte.
kicker: An ihrer Schnelligkeit lässt sich wohl wenig verbessern.
Schürrle: Doch. Ich bin überzeugt, dass ich schneller werden kann. Auch die Fitnesstrainer denken das.
kicker: Das werden ihre Gegenspieler aber nicht gerne hören. Selbst ein internationaler Haudegen wie Sami Hyypiä klopfte Ihnen anerkennend auf die Schulter, als Sie ihn im Spiel böse stehenließen.
Schürrle: Über Hyypiä musste ich nach besagter Szene lachen. Er kam zu mir und fragte mich auf Englisch: „Du willst doch nächstes Jahr Champions League spielen?“ Als ich das bejahte, sagte er: „Dann musst du etwas langsamer machen.“
kicker: Wo spielt Schnelligkeit bei Ihnen noch eine Rolle?
Schürrle: Ich fahre gerne schnell, auch wenn es meine Mutter nicht gerne hört. Ich liebe einfach die Geschwindigkeit. Und in der Schule war ich immer einer, der schnell Sachen begriffen hat. Auswendiglernen, das war mein Ding.
kicker: Im Mainzer Besprechungsraum liegen Analyseordner aus. Kennen Sie die Werte, wie viele Meter Sie pro Spiel sprinten?
Schürrle: Ich schaue immer rein, sobald neue Blätter eingelegt sind. Meistens waren es um die 500 Meter. Aber es geht noch mehr. Sogar 600 hatte ich schon. An diese Werte will ich immer rankommen.
kicker: Tuchel sagt, diese Marken wären europäisches Topniveau.
Schürrle: Keine Ahnung, was europäische Topsprinter zurücklegen. Beim Spiel gegen den FC Bayern lag Arjen Robben vorne, dahinter kam ich und dann Thomas Müller.
kicker: Ist Robben die Messlatte?
Schürrle: Robben ist unglaublich, der geht nur im Sprint. Er ist einer der schnellsten Spieler überhaupt. Was er für Tempoläufe macht, für Tore, und das in jedem Spiel. Ich will mich auf keinen Fall mit ihm vergleichen. Das wäre viel zu hoch gegriffen. Er ist ein absoluter Weltstar. Ich wäre froh, irgendwann Robbens Niveau zu erreichen.
kicker: Die Parallelen in der Spielanlage sind auffällig.
Schürrle: Weil dieses seitenverkehrte Spiel für mich ideal ist. Ich kann mit meinem starken rechten Fuß nach innen ziehen und den Abschluss oder den Doppelpass suchen. In anderen Dingen ist mir Robben aber sehr, sehr viele Schritte voraus.
kicker: Warum wissen seine Gegenspieler stets, was passiert, können es aber nicht verhindern?
Schürrle: Für einen Linksverteidiger ist es schwer, wenn Robben in die Mitte auf dessen schwachen Fuß zieht. Es verschafft dem Angreifer den entscheidenden Vorteil. ...
weiter geht´s im Teil II
INTERVIEW: UWE RÖSER
Quelle: kicker-Printausgabe vom 26.05.11