LEVERKUSEN taz Manchmal gibt es im Fußball Momente des unverhofften Glücks, Schiedsrichterentscheidungen oder Zufallstore, Minuten, die sich rückblickend in entscheidende Wendepunkte der Geschichte verwandeln. Gut möglich, dass das Leverkusener Publikum am Mittwochabend solch einen Wendepunkt miterleben durfte. Denn jene zehn Minuten nach der Halbzeit der Partie zwischen der Werkself und dem FC Valencia besitzen definitiv richtungsweisendes Potenzial. Verdient hatten die Leverkusener diese Wende zwar nicht, Valencia hätte längst 3:0 oder besser 5:0 führen müssen, doch irgendwie drehte die Mannschaft von Trainer Robin Dutt ein Spiel, das eigentlich längst verloren war.
"Das war so ziemlich das Schlechteste, was ich mitgemacht habe als Fußballer", sollte Michael Ballack später zur ersten Hälfte sagen, und natürlich wurde das spielerische Desaster in den Pausendiskussionen auf die schwelenden Konflikte zwischen Trainer Robin Dutt und einem Teil des Teams zurückgeführt. Doch dann passierte eine Art Wunder. 45 Minuten später war alle Herbstschwere verflogen, Dutt sah plötzlich aus wie ein strahlender Sieger. Ein Mann, der die richtigen Maßnahmen ergreift und die passenden Worte findet.
Manuel Friedrich, der in dieser Saison bisher ganze sieben Minuten mitspielen durfte, kam für den überforderten Stefan Reinartz in die Partie, und das entpuppte sich als entscheidender Schachzug. "Er hat gleich ein paar Zweikämpfe gewonnen und das Publikum mitgerissen", sagte Ballack. Plötzlich war die bleierne Unsicherheit der ersten Halbzeit verflogen. Und mit zwei wunderbaren Treffern stellte die Werkself den Spielverlauf auf den Kopf (Schürrle, 52.; Sam, 56.).
Natürlich wurde Robin Dutt nach der Partie gefragt, wie er diese wundersame Verwandlung herbeigeführt habe. Der Trainer reichte das Lob generös weiter: "Das Spiel hat die Mannschaft gewonnen, und ich sehe mich als Teil dieser Mannschaft, ich möchte nicht als Hauptinitiator dieser zweiten Halbzeit gelten." Dutt ist nach den vielen Geschichten über sein schwieriges Verhältnis zu einigen Spielern sehr darauf bedacht, mehr Milde walten zu lassen. So enthält das tägliche Buffet für die Spieler wieder Nutella, Milchreis und Schnitzel, zwischenzeitlich hatte Dutt solche Kaloriensünden vom Speiseplan verbannt. Ein paar Leute aus dem Umfeld des Teams werden vom Trainer nun respektvoller behandelt. Es sind kleine Schritte, aber Dutt kommt der Mannschaft entgegen.
Simon Rolfes, der als Anführer der Querulanten gilt, sprach nach dem Sieg von einem "Prozess", in dem das Team "einen Schritt gemacht" habe. Aus der Welt sind die Konflikte gewiss noch nicht, auch wenn diese Partie als Zeugnis des Gegenteils taugt. Denn es war erkennbar, dass keineswegs die gesamte Mannschaft gegen Dutt rebelliert. Sidney Sam sprintete nach seinem Tor zum 2:1 auf den Trainer zu und fiel ihm gemeinsam mit den meisten anderen jüngeren Spielern in die Arme. Fern blieben dieser Demonstration der Einigkeit nur Rolfes, Stefan Kießling, Manuel Friedrich und Bernd Leno. Der Torhüter, der in der Schlussphase mit ein paar überragenden Aktionen den Sieg sicherte, sagte allerdings: "Ich wäre auch gerne hingerannt, aber der Weg war zu weit."
Dutt selbst hat sich sehr gefreut über diese Geste, "natürlich bedeutet einem das etwas", sagte er, und nach der Partie lief der Schwabe auf den Rasen, schnappte sich der Reihe nach alle Spieler (auch seine Kritiker), um sie kräftig zu umarmen. Diese Partie war zu einem Abend der Symbole und der Botschaften geworden.