Sie sind nach Noten die besten Torhüter dieser Saison. Doch bald schon könnten SVEN ULREICH (23) und BERND LENO (19) wieder Konkurrenten werden in Stuttgart. Lenos Leihvertrag mit Leverkusen endet an Silvester. Und dann?
Vielleicht hat Manuel Neuer (25) mit seinem Wechsel zum FC Bayern einen Quantensprung gemacht. In einer Kategorie aber erlebt er bei seinem neuen Arbeitgeber einen Rückschritt. Wenn Torhüter sich mangels Beschäftigung nicht so auszeichnen können, bekommen sie in der Regel die Note 3. Das passierte ihm siebenmal in den ersten zwölf Ligaspielen. Neuer erlebte insgesamt nur 22 Möglichkeiten der Gegner.
Im Notenranking der Liga liegen deshalb andere vorne, die sich mehr auszeichnen konnten: Sven Ulreich und Bernd Leno. 68 Chancen ließ der VfB zu, 50 Leverkusen – ab dem 2. Spieltag, als Leno debütierte. Aus dem Vereinsduell der beiden Torhüter ist ein Fernduell geworden. Leno ist bis zum 31. 12. an Leverkusen ausgeliehen, dann muss er zurück nach Stuttgart. Dort käme es zu einem „off enen und fairen Wettkampf“, sagt Ulreich. Ein Duell, das keiner will. Nicht Leverkusen, nicht Leno – und eigentlich auch der VfB und Ulreich nicht.
Der Poker um die Ablöse läuft längst. „Die Leverkusener müssen uns ein Angebot machen, dass uns schwindelig wird.“ Gerd Mäuser (53) hat dies kürzlich geäußert, der Präsident des VfB. Er und Sportdirektor Fredi Bobic (40) haben das Heft in der Hand. Eine erste Verhandlungsrunde ist gescheitert.
Für Torwarttrainer Andreas Menger (39) waren Leno und Ulreich die Hauptgründe, im Sommer nach Stuttgart zu wechseln. „Der VfB hat zwei der interessantesten deutschen Nachwuchstorhüter“, sagte Menger damals. In der öffentlichen Wahrnehmung handelte es sich bei Ulreich um einen Wackelkandidaten, bei Leno um einen Drittligatorwart der 2. Mannschaft. Doch die Entwicklung hat Menger bestätigt. Dass die beiden Schwaben hochbegabt sind, zeigt der Vergleich in den wichtigsten Kategorien.
Auf der Linie: Ulreich ist reaktionsschnell, handwerklich gut. Sein einziger Fangfehler mit Folgen war ausgerechnet das 0:1 gegen Leverkusen, mit Leno. Der steht Ulreich mit seinen Reflexen in nichts nach.
Strafraumbeherrschung: Leno fehlt mitunter der Mut, er verlässt sich manchmal zu sehr auf seine Stärke auf der Linie. Ulreich hat bei Flanken enorm zugelegt, geht gerne raus – wie er das als Reservist hinter JensLehmann zwei Jahre lang lernte.
Spieleröffnung: Über die weiten Abwürfe eines Manuel Neuer verfügen beide noch nicht. Ulreich versucht es mit weiten Fußabschlägen oder kürzeren Abwürfen zu den Außenverteidigern. Auch Leno hat hier noch Steigerungspotenzial.
Mit dem Fuß: In Jugendjahren spielte Ulreich auch schon mal draußen. Er hat eine gute Technik, die ihm nun zugutekommt. Leno ist beidfüßig stark. Der Aussetzer kürzlich in Valencia, der zum frühen 0:1 führte, war eine Ausnahme.
Eins-gegen-eins: Hier sind beide stark. Die gute VfB-Torwartschule zahlt sich aus. Ulreich und Leno haben gelernt, sich groß zu machen, lange stehen zu bleiben und dadurch die Schützen zu verunsichern.
Ausstrahlung: Als Ulreich mit 19 in der Bundesliga debütierte, fehlte ihm gerade in diesem Punkt noch einiges. Selbst in der vergangenen Saison nahm ihn Trainer Bruno Labbadia (45) aus diesem Grund in der Europa League aus dem Kasten. Doch seit diesem Zeitpunkt hat er enorm zugelegt. Die Präsenz, laute Kommandos – all das hat er nun im Repertoire. Auch wenn immer noch mehr von ihm kommen könnte. Leno ist wohl noch zu jung, um schon wie ein Chef zu dirigieren. Vielleicht fehlt ihm ein Schuss Temperament. Dafür zeichnet ihn eine Bärenruhe aus, die ihn Fehler wie in Valencia schnell überwinden lässt.
Typ: Ulreich ist ein sehr ernsthafter Typ. Mit 19 nahm ihn Armin Veh aus dem Kasten, mit 22 die kurzzeitige Degradierung bei Labbadia. Diese Erfahrungen prägen. In der Mannschaft ist er voll anerkannt. Ungerechtigkeiten lässt er nicht auf sich sitzen, da kann er sogar ziemlich scharf reagieren, wenn ihm jemand einen Fehler zuschreiben will, den er so nicht sieht. „Ich weiß ja nicht, welches Spiel Sie gesehen haben“, blaffte er mal einen Reporter an. Auch Leno ist sehr reif für sein Alter. Unverfälscht und sympathisch. Über eigene Fehler kann er sogar Witze reißen, wie jüngst in Valencia. Er eifere eben seinem Vorbild Iker Casillas nach, der einst das schnellste Tor der Champions-League-Geschichte kassierte. Er, Leno, fing nun das zweitschnellste. Und lächelt dabei, vielleicht spöttisch, vielleicht verlegen. Auf jeden Fall überlegen. Ziemlich cool.
Andreas Menger, der in der Vorbereitung auf diese Saison sechs Wochen lang Leno und Ulreich gleichzeitig unter seinen Fittichen hatte, urteilt heute so: „Beide haben für ihr Alter ein sehr hohes Niveau, das man in einigen Bereichen sicher noch verfeinern kann.“ Der gebürtige Berliner hat auf jeden Fall eines geschafft: Ulreich ist in dieser Hinrunde noch konstanter als in der vergangenen Rückrunde.
Ob das so bliebe, wenn Leno im Januar zurückkommen müsste, ist die Frage. Denn: Holt der VfB ihn zurück, muss er ihn spielen lassen. Ansonsten kann er laut Ausstiegsklausel für eine wesentlich geringere Ablöse als die, die Bayer nun bietet, im Sommer gehen. Und für Ulreich wäre die Aktion eine Art Misstrauensvotum. Und wohl letztlich nicht leistungsfördernd für beide. Denn im Tor ist eben nur eine Stelle zu vergeben. Einer würde spielen, der andere wäre Reservist. Letztere Rolle hätte keiner verdient. Gerade bei Torhütern ist ein Konkurrenzkampf nicht immer stimulierend. Das Wichtigste ist das absolute Vertrauen des Trainers.
Deshalb sind die Verträge durchaus neu verhandelbar. Leverkusen hat sein Interesse geäußert, Leno möchte bei Bayer bleiben. Stuttgart wiederum braucht noch Transfereinnahmen, um Ausgaben und Einnahmen auf ein Niveau zu bringen. Das Duell, das keiner will, kann noch verhindern werden. Mit Geld.
F. LUßEM/M. MESSERER
Quelle: kicker-Printausgabe vom 14.11.11