Leno: „Manchmal vergesse ich, dass ich erst 19 bin“

  • Er ist das, was man gemeinhin einen Glücksgriff nennt. Im Sommer noch spielte BERND LENO bei der 2. Mannschaft des VfB Stuttgart, bald darf er für Leverkusen gegen den FC Barcelona ran. Der für 7,5 Millionen Euro verpflichtete Youngster über Adler, Messi, Fehler und Perspektiven.


    kicker: Herr Leno, wenn Sie auf das vergangene halbe Jahr zurückblicken, haben Sie dann den Eindruck, in einem Traum zu sein?


    Bernd Leno: Das war in der Hinrunde auf jeden Fall so. Da hat man wenig Zeit gehabt abzuschalten. Das war dann schon irgendwo so ein Traum, wo man dachte: Hoffentlich wache ich nicht auf! Das war schon krass, dass es in der Sommervorbereitung mit dem VfB II gegen den FSV Frankfurt und Kaiserslautern II ging und dann auf einmal gegen Bremen, Stuttgart, Dortmund und Chelsea. Das waren gleich alle Brocken auf einem Haufen. Innerhalb von einem Monat hat sich mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Jetzt in der Winterpause hatte ich etwas Zeit, das alles zu verarbeiten, konnte mir Gedanken machen, was alles passiert ist. Aber ich glaube: Es hätte nicht besser laufen können.


    kicker: Welche Erkenntnis haben Sie gewonnen?


    Leno: Es ist abgesehen von dem Valencia-Fehler alles gut gelaufen. Wir sind im Achtelfinale der Champions League, haben in der Bundesliga zwar nicht so gut ausgesehen, aber mit mir persönlich und meiner Entwicklung kann ich schon zufrieden sein. Ich habe bewiesen, dass ich auch in der Bundesliga mithalten kann.


    kicker: Haben Sie es für möglich gehalten, dass alles so reibungslos abläuft?


    Leno: Als 19-jähriger Torhüter von einem anderen Verein zu kommen, ohne bekannt zu sein, ohne ein Bundesligaspiel zu haben, und dann gleich in die Bundesliga und die Champions League reingeschmissen zu werden, das ist nicht so einfach. Den ganzen Respekt bei den Mitspielern habe ich mir über Wochen bei Bayer erarbeitet durch gute Spiele am Anfang. Dann ist alles von alleine gelaufen. Ich habe meinen Part runtergespielt. Das hatte man sich so erhofft, aber es war natürlich nicht zu erwarten, dass es so gut läuft. Und dass ich dann auch noch bei Bayer bleiben durfte, dass mich die Verantwortlichen als Torwart der Zukunft einstufen, das ist nicht schlecht.


    kicker: Sie sind 19 Jahre alt. Vor drei Jahren haben Sie noch auf René Adler geschaut und gedacht: Da will ich auch mal hin. Ist es nicht komisch, wenn man auf einmal selbst Bundesliga bei Bayer spielt und der andere ist nicht mehr gefragt?


    Leno: Was heißt komisch? René Adler ist natürlich ein Riesentorhüter, aber so ist es halt mal im Fußball. Ich habe davon profitiert, dass er verletzt war. Das war auch ein bisschen Zufall. Ich habe auch nicht damit gerechnet, dass Bayer Leverkusen kommen wird. Aber so ist Fußball. Manuel Neuer hat auch davon profitiert, dass René sich vor der WM verletzt hat. Und jetzt ist er nicht mehr aus dem deutschen Tor wegzudenken. Ähnlich war es bei mir: Weil René verletzt war, bin ich gekommen. Das ist der schmale Grat zwischen Pech und Glück. Ich habe jetzt davon profitiert. René Adler hat darunter gelitten.


    kicker: Haben Sie auch Mitleid mit Ihrem Konkurrenten?


    Leno: Natürlich. René hat sich immer fair verhalten, mir Glück gewünscht, Tipps gegeben. Das war wichtig. René gehört ja trotzdem noch zur Nationalmannschaft, ist trotzdem noch ein Riesentorwart. Wenn man gesehen hat, was er über Jahre für Bayer geleistet hat, ist das richtig gut. Natürlich hat man da Mitgefühl, denn Verletzungen sind auch immer ein bisschen Pech. Das wünscht man keinem. Aber im Endeffekt habe ich immer auf mich selbst geschaut, weil für mich alles neu war: Bundesliga, Champions League, viele englische Wochen. Das war auch für mich anstrengend.


    kicker: Sie sind Bayers „Mann der Zukunft“. Bewerten Sie es als Auszeichnung, dass der Klub 7,5 Millionen Euro Ablöse für Sie zahlt und Adler ablösefrei gehen lässt?


    Leno: Natürlich. Man hat einen Batzen Geld investiert. Da sieht man auch die Wertschätzung, dass der Klub auf mich baut und mir auch so einen langfristigen Vertrag gibt. Weil ich dieses Vertrauen gespürt habe, war es für mich auch sehr schnell klar, dass ich hierbleiben will. Hier haben alle mit mir geredet. Das Gesamtpaket war hier einfach für mich das beste.


    kicker: Für Sie ist die Hinrunde optimal gelaufen, für die Mannschaft aber nicht …


    Leno: In der Bundesliga haben wir viele Punkte unnötig liegen lassen. Wir haben teilweise nicht gezeigt, was wir können. Damit können wir nicht zufrieden sein. Aber in der Champions League haben wir ein ganz anderes Gesicht gezeigt, haben Spiele gegen Valencia und Chelsea daheim gedreht. Und auch in London haben wir gut gespielt. Da sieht man, dass wir Qualität haben. In der Bundesliga hatten wir ein paar Hänger, gegen Köln 1:4 und gegen Nürnberg 0:3 verloren, Immer so Rückschläge, die uns nicht passieren dürfen. Hätten wir diese zwei Heimspiele gewonnen, würde alles ganz anders aussehen.


    kicker: Was ist noch drin in der Liga?


    Leno: Natürlich wollen wir mehr Punkte holen als in der Hinrunde. Das können wir auf jeden Fall. Wir wollen auf jeden Fall Vierter werden, in die Champions League. Wenn wir hart arbeiten, ist noch alles nach oben möglich. Wir spielen noch gegen Bayern und Gladbach daheim. Wir haben noch alles in der eigenen Hand.


    kicker: Sie haben Valencia und Ihren Fehler angesprochen. Sie haben danach weitergespielt, als wäre nichts gewesen. Wie macht man das als 19-jähriger Neuling?


    Leno: Ich weiß auch nicht. Natürlich war das schwer, als der Ball nach zehn Sekunden im Tor lag, aber im Endeffekt sage ich: Zum Glück ist es passiert. Fehler passieren halt einmal. Gerade als junger Spieler hat man die Möglichkeit, daraus zu lernen. Manchmal vergesse ich ja selber, dass ich erst 19 bin. Gott sei Dank sind wir in der Champions League trotzdem weitergekommen. Ich würde mir vielleicht in den Arsch beißen, wenn es das entscheidende Spiel gewesen wäre. Aber solche Böcke vergisst man nicht, und man kann immer etwas Positives herausziehen – gerade als junger Spieler. Ich glaube, das habe ich ganz gut hingekriegt.


    kicker: Tun Sie etwas für diese mentale Stärke oder ist das eine Gabe?


    Leno: Ich habe kein Mentaltraining gemacht, sondern glaube, dass das einfach von Natur aus so ist. Ich bin schon sehr früh in der A-Jugend mit 17 reingeworfen worden, als wir Letzter waren. Da war auch schon Druck durch den Abstiegskampf da. Das hat mich in jungen Jahren schon sehr weit gebracht. Daraus habe ich gelernt. Natürlich ist beim Torwart der Kopf unheimlich wichtig – ein Fehler ist gleich ein Tor.


    kicker: Wer hilft Ihnen nach einem solchen Fehler?


    Leno: Da ist meine Familie, mein Bruder, meine Eltern, die unterstützen einen. Mit 19 ist schon noch wichtig, dass die Familie hinter einem steht. Gerade im Fußball. Das gibt einem noch zusätzlich Kraft.


    kicker: Wie sieht die Unterstützung aus?


    Leno: Meine Eltern waren bislang bei jedem Spiel, seit ich bei Bayer bin, außer dem in Genk – da war meine Mutter krank. Mein Vater ist fußballverrückt. Wir haben ein kicker-Abo. Meine Mutter muss mitfahren. Die kann nicht zu Hause sitzen und das im Fernsehen anschauen. Mein Bruder hat mal ein Video gemacht, das zeigt, wie sie mitfiebern. Meine Mutter ist nervöser, bangt mit, wenn ich auf dem Boden liege.


    kicker: Wird für Sie die Rückrunde zum Härtest und zur Reifeprüfung, bei der Sie Ihre Leistungen bestätigen müssen?


    Leno: Natürlich. Einen guten Torwart zeichnet es nicht nur aus, ein halbes Jahr gut zu sein, sondern über eine ganze Saison, über Jahre hinweg. Da will ich hin, ein konstant guter Torwart zu werden. Ich habe zwar bewiesen, dass ich ein halbes Jahr gut mitspielen kann, aber das Entscheidende ist, das über Jahre hinweg auf gutem und hoffentlich auch europäischem Niveau zu bestätigen. Das ist noch mal eine Stufe höher. Und je früher man da spielt, umso besser ist es.


    kicker: Jetzt geht es gegen Barcelona in der Champions League. Welche Emotionen weckt das bei Ihnen?


    Leno: Das ist ein Traum. Als ich die Auslosung gesehen habe, habe ich mich gefreut, dass es Barcelona ist. Vor sieben oder acht Monaten habe ich noch gegen Regensburg gespielt, jetzt im Februar und März gegen Messi, Xavi und wie sie alle heißen – das sind alles Top-Namen. Es ist ein Traum, gegen die zu spielen. Barcelona ist noch mal eine Liga höher, die beste Mannschaft. Wir freuen uns alle. Es wird für mich ein geiles Spiel, für die Mannschaft ein geiles Spiel, für die Fans. Natürlich ist Barcelona klarer Favorit, aber man weiß nie im Fußball. Wir genießen das Spiel und schauen, was dabei herauskommt.


    kicker: Sie nennen Iker Casillas als Idol. Ist es da etwas Besonderes, gegen Real Madrids großen Rivalen zu spielen?


    Leno: Nicht ganz so, aber vielleicht kann ich den Kollegen von Real einen Gefallen tun, wenn wir Barcelona schlagen sollten …


    kicker: Sie sind mit 19 Jahren in die Bundesliga gekommen. Vor zehn Jahren hätte ein 19-Jähriger wohl nicht so eine Chance im Tor bekommen. Haben Sie das Glück, spät geboren zu sein?


    Leno: Das kann man schon sagen. Wenn man sieht, welche Torhüter jetzt alles spielen: Trapp, ter Stegen, Baumann, ich – wir sind alle 90er Jahrgänge. Vor zehn Jahren hätte vielleicht nur einer gespielt.


    kicker: Woran liegt das?


    Leno: Heutzutage wird mehr auf junge Spieler gebaut, noch mehr auf junge Torhüter. Die Torwartausbildung ist besser geworden. Das moderne Torwartspiel ist anders geworden mit der Spieleröffnung. Da bin ich schon froh, dass ich nicht 82er, sondern 92er Jahrgang bin.
    INTERVIEW: STEPHAN VON NOCKS





    Quelle: kicker-Printausgabe vom 16.01.12