Bayer Leverkusen demontiert systematisch seine Spieler. Michael Ballack wurde von Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser in der Öffentlichkeit angegriffen und steht vor einer ungewissen Zukunft, nachdem er beim 1:1 in Bremen 90 Minuten auf der Bank saß. Die Opfer vor ihm hießen Rene Adler, Simon Rolfes und Hanno Balitsch. Ex-Leverkusen-Star Carsten Ramelow geht mit Trainer Robin Dutt und Klub-Boss Wolfgang Holzhäuser hart ins Gericht.
SPOX: Herr Ramelow, wie verfolgen Sie die jüngste Eskalation in Leverkusen?
Carsten Ramelow: Die letzten Ereignisse verwundern mich total. Schon im Sommer hatte man das Gefühl, dass eine große Unruhe herrscht. Als diese sich zum Ende der Hinrunde hin etwas gelegt hat, dachte ich, dass der Verein die Zeit in der Winterpause nutzt, um sich neu zu besinnen. Stattdessen geht es noch schlimmer zu als zuvor. Wolfgang Holzhäusers Aussagen werden sehr nachhaltige Konsequenzen haben und dafür sorgen, dass das Ballack-Thema Leverkusen die gesamte Rückrunde beschäftigt.
SPOX: Bayer-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser griff bereits in der Hinrunde unter anderem Renato Augusto mit bemerkenswert deutlichen Worten an. Ein auffälliges Muster?
Ramelow: Auf der einen Seite ist Holzhäuser der Chef, von daher ist es sein gutes Recht, öffentlich Stellung zu beziehen. Auf der anderen Seite darf man eines nicht vergessen: Wenn sich ein Spieler in einer solchen Form äußern würde, wäre der Verein zutiefst empört. Selbst bei Aussagen, die nicht so gemeint sind oder falsch wiedergegeben werden, muss ein Spieler höllisch aufpassen. Aber: Ein Spieler ist nur ein Spieler, und Holzhäuser ist eben der Chef.
SPOX: Wie hätte Leverkusen das Krisenmanagement besser gestalten können?
Ramelow: Der Verein hätte sich bereits in der Hinrunde zum Thema klar positionieren sollen. Anfangs war es nur eine Ahnung, dass Leverkusen intern anders über Ballack denkt als nach außen hin präsentiert. Nun zeigt sich, dass vieles einfach nur versucht wurde zu überspielen. Jetzt aber so zu tun, als ob Ballack an allem Schuld ist, finde ich nicht in Ordnung. Es gibt immer zwei Seiten - und von der Trainerseite aus wurde einiges dazu beigetragen, dass es soweit kommen konnte.
SPOX: Wie sehen Sie die Rolle von Trainer Robin Dutt?
Ramelow: Mich verwundert einiges. Anfang der Saison plant er nicht mit Ballack, später aber greift er doch auf ihn zurück, weil er ihn braucht - nur um ihm nach der Winterpause wieder die Unterstützung zu entziehen. Ich frage mich wirklich, wie sich Bayer das mit Ballack vorgestellt hat.
SPOX: Was ist Dutts größter Fehler?
Ramelow: Er hätte rechtzeitig reagieren müssen. Schon in der Hinrunde fiel auf, dass das Gefüge in der Mannschaft verloren geht, weil er die Spieler unterschiedlich behandelt. Vielleicht hätte er in der Winterpause ein Gleichgewicht im Kader herstellen können, so dass eine Hierarchie entsteht, doch auch diese Chance hat er verpasst. Zum Beispiel war Ballacks Auswechslung gegen Mainz ein Fehler. Auch wenn er schlecht gespielt hat, wissen die Zuschauer sehr wohl zu schätzen, dass sich Ballack wieder herangekämpft und sich in eine gute Form gebracht hat. Aber es macht den Eindruck, als ob es Dutt ohnehin um etwas anderes geht. Man kann fast schon die Uhr danach stellen, bis Ballack ausgewechselt wird. Die Vermutung eines Machtkampfs liegt nahe.
SPOX: Wie bewerten Sie Ballacks Rolle?
Ramelow: Ich finde es gut, wie er sich präsentiert. Er hat sich nie zu einer Provokation hinreißen lassen, obwohl er seit Monaten einen schweren Stand beim Trainer hat und attackiert wurde. Das ist nicht selbstverständlich. Wir dürfen nicht vergessen, wie unglücklich alles für ihn gelaufen ist: Die schwere Verletzung und die erzwungene WM-Absage, die unschöne Trennung von der Nationalmannschaft, jetzt die Geschichte mit Leverkusen. Dass zu verkraften fällt jedem schwer.
SPOX: Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn Leverkusen frühzeitig auf Ballack zugegangen wäre? Oder würde er nicht so oder so beleidigt reagieren?
Ramelow: Die Art und Weise macht einen großen Unterschied aus. Jeder Spieler möchte, dass man ehrlich mit ihm umgeht und dass einem rechtzeitig gesagt wird, wie der Verein plant. Ein Spieler, der ins Alter kommt und verletzt war, weiß nur zu gut, dass seine Zeit langsam ausläuft. Das Einzige, das er erwartet, ist Offenheit.
SPOX: Was auffällt: Besonders die erfahrenen Spieler werden in Leverkusen in Frage gestellt. Ähnlich wie Ballack ergeht es Simon Rolfes. Hanno Baltisch wurde gar aus der Mannschaft verbannt, bevor er nach Nürnberg floh.
Ramelow: Wir dürfen einen in der Reihe nicht vergessen: Rene Adler. Keine Frage, Bernd Leno hält überragend und ist eine würdige Nummer eins. Dennoch war es unfair, wie mit Adler umgegangen wurde. Er ist lange im Verein, zeigt Topleistungen - und landet nach einer Verletzung auf dem Abstellgleis. Kein Spieler hat so ein Verhalten verdient.
SPOX: Welche Folgen hat die Entmachtung der erfahrenen Spieler auf die Mannschaft?
Ramelow: Es fehlt die Hierarchie. Jede Mannschaft braucht eine Achse, an der sich die jungen Spieler orientieren können. Stattdessen werden Ballack und Rolfes geschwächt. Rolfes wird in der Öffentlichkeit in Frage gestellt, indem Dutt völlig unnötig sagt, dass er und Ballack zusammen nicht spielen könnten. Kein Wunder, dass die Mannschaft noch immer nicht eingespielt ist.
SPOX: Ist Dutt überfordert?
Ramelow: Er sollte aus den Erfahrungen lernen. Er hätte in der Winterpause die Dinge regeln sollen, die in der Hinrunde schief gelaufen sind. Das ist ihm offenbar nicht gelungen. Vielleicht schafft er es nicht, mit den höheren Ansprüchen zurechtzukommen. Im Vergleich zu Freiburg ist Leverkusen eine ganz andere Hausnummer. Nur fachlich top zu sein, reicht bei einem Verein wie Bayer nicht. Mittlerweile haben sich die Probleme so verfestigt, dass es schwierig wird, die Kurve zu bekommen.
Quelle: Spox.com