Das haben sie sich in Leverkusen anders gedacht. MICHAEL BALLACK (35) sollte für Glanz und Gloria sorgen. Doch der Superstar ist mehr Last als Lust. Eine Analyse von Frank Lußem.
Der Platz für das Interview war bereits freigeschlagen. Das Thema stand auch. Via Kölner Express sollte Michael Ballack versöhnliche Töne Richtung Trainer Robin Dutt (47) anschlagen, „Dampf aus dem Kessel“ nehmen, so die interne Lesart. Die unschönen Szenen während und nach dem Spiel gegen Mainz 05 (3:2), die Pfiffe gegen den Trainer und die Mannschaft, die ganze belastende Atmosphäre – Ballack sollte ein paar ausgleichende Worte verlieren, Dutt damit den Rücken stärken und für ein wenig mehr Harmonie sorgen vor dem so wichtigen Spiel beim SV Werder Bremen.
Ballack entgegnete, er würde sich die Sache überlegen, bekam kurz darauf aber mit, dass er das Spiel in Bremen nur von der Bank aus sehen würde. Der Trainer wollte etwas anderes ausprobieren, damit war allerdings auch klar: Die Kollegen der Kölner Boulevardzeitung mussten sich einen anderen Gesprächspartner suchen. Denn einen Trainer, der ihn auf die Bank setzt, wollte und will ein Michael Ballack nicht stützen.
Bayer-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser (62) übernahm nun Ballacks Part und nutzte den frei gewordenen Platz. Allerdings nicht mehr, um versöhnlich einzuwirken. Im Gegenteil: Holzhäuser machte – mit Rückendeckung des mächtigen Gesellschafter-Ausschuss-Chefs Werner Wenning – Tabula rasa. Die Kernaussage: „Es ist der Zeitpunkt erreicht, wo wir uns alle eingestehen müssen, dass unsere Überlegungen, die wir vor 20 Monaten hatten, nicht aufgegangen sind.“
Rumms! Das saß. Bayer und Ballack – das große Missverständnis. Die Öffentlichkeit kann sich auf ein unrühmliches Ende der Zusammenarbeit zwischen Werksklub und Weltstar einstellen. Genug der Heuchelei und der Sonntagsreden – es geht ans Eingemachte.
Wie konnte es so weit kommen? Den Stein endgültig ins Rollen hatte Ballack im Trainingslager in Portugal gebracht. Und zwar mit diesem Satz: „Es gibt Personen im Umfeld, die sich natürlich ihre Meinung machen, wie Rudi Völler und Wolfgang Holzhäuser. Wenn man meine Karriere in der Nationalmannschaft sieht, wenn man sieht, was ich geleistet habe in den letzten Jahren und Jahrzehnten, dann ist es aus meiner Sicht nur selbstverständlich, dass sich der eine oder andere einbringt, dass ich einen würdigen Abschied finde. Das hat mit meiner Sichtweise aber nichts zu tun.“ Diese lapidare Aussage zu den Bemühungen Rudi Völlers und Wolfgang Holzhäusers, Ballack einen anständigen Abschied vom DFB zu bereiten, musste das Leverkusener Führungs-Duo als schallende Ohrfeige empfinden. Selbst wenn das Vorgehen nicht abgesprochen gewesen sein sollte, hätte Ballack Völler nie derart im Regen stehen lassen dürfen. Tatsächlich liest es sich wie Hohn, wenn Ballack – der als Spieler nur nationale Titel und Pokale gewonnen hat – über die Bemühungen von Weltmeister und Champions-League-Sieger Rudi Völler als „Selbstverständlichkeit“ spricht. Unabhängig davon, was der Mittdreißiger in den „letzten Jahren und Jahrzehnten“ geleistet hat – mit dieser Attacke schoss er weit über das Ziel hinaus. Kein Wort des Dankes, des Respekts! Völlers Antwort kam nach dem Spiel gegen Mainz: „Ich hätte ihn schon zur Halbzeit ausgewechselt!“
Ballack bekam in Leverkusen nie konsequent den Sonderstatus, den einer wie er für sich als selbstverständlich reklamiert. Dass er dies tut, darf nicht verwundern. Der einzige deutsche Weltklassespieler (sieht man von Torhüter Oliver Kahn ab) der Jahre 2002 bis 2008 wurde regelrecht hofiert, angeschoben von seinem Berater, dem Luxemburger Rechtsanwalt Michael Becker, der lästige Kritiker bis heute gerne als „unterdurchschnittliche Lohnschreiber“ beschimpft, als „verstockt, uneinsichtig und auf unsäglichem Niveau“ schreibend.
Kritik an Ballack ist verpönt im Hause Ballack/ Becker. Einfach mal schlecht gespielt zu haben – das war schlichtweg noch nie drin, und wer schlechte Noten gab, der wurde schnell mit Interview-Entzug bestraft.
Jupp Heynckes, der aufrechte Bayern-Coach, bekam die schlechte Laune des alternden Weltstars so intensiv zu spüren, dass er Freunden gestand, Ballacks Anwesenheit habe einen großen Einfluss auf seine Entscheidung für München. Robin Dutt, der nächste Trainer, wurde zwar nicht müde, das tolle Verhältnis zu Ballack zu bekräftigen. Das Problem aber: Ballack wusste nichts davon. Denn toll ist dessen Verhältnis nur zu dem Trainer, der ihn immer spielen lässt. Weil Dutt dem täglichen Kampf mit der heiklen Personalie nicht immer gewachsen war, durfte Ballack zwar immer häufiger ran. Dabei lieferte er temporär durchaus ansprechende Leistungen ab, den fußballerischen Niedergang der Bayer-Elf konnte er freilich nicht verhindern. Manche sahen in ihm sogar die sportliche Spaßbremse. So notierte der Kölner Stadt-Anzeiger nach dem Hinrunden-2:2 gegen den Hamburger SV: „Aus der Hochgeschwindigkeits-Passmaschine ist ein Ballschlepper-Unternehmen geworden, das mit hohem physischen Aufwand einen Matthäushaften Ball-am-Fuß-Stil arbeitet, der den Stärken von Michael Ballack entgegenkommt, die Vorzüge der übrigen Spieler – gedankliche Schnelligkeit, feine Passtechnik, Improvisationstalent – aber brachliegen lässt.“
Was etwas hölzern klingt, bedeutet im Kern: „Ballacks Zeit ist abgelaufen. Der moderne Fußball findet ohne ihn statt.“ Tut er das? Fakt ist: Seit er wieder im Bayer-Trikot aufläuft, holte die Mannschaft mit ihm im Schnitt genauso viele Punkte wie ohne ihn. Dass er die Truppe zur Vizemeisterschaft führte, ist sicherlich die verklärende Sicht seines Beraters, kaputt gemacht hat er allerdings auch nichts. Hier liegt ja der Hase im Pfeffer: Ballack war sportlich nie der erhoffte Gewinn, er schwamm mit, mal vorne, meist mittendrin, ab und zu hinterher.
Vorbei ist nun die Zeit der Missverständnisse. Zwar sprach Wolfgang Holzhäuser am Samstag so: „Wir haben noch drei Monate Vertrag. Das werden wir profimäßig abwickeln. Der Michael wird sicherlich noch das eine oder andere Spiel
bei uns bestreiten, und auch gute Spiele bestreiten. Warum soll das nicht der Fall sein?“ Doch wahrscheinlicher ist, dass nun die Ära Ballack bei Bayer jäh beendet wurde. Er kann nun bleiben bis zum Vertragsende im Juni, er kann aber auch, dies sagt Holzhäuser ebenfalls, sofort gehen, so sich ein Interessent findet. Berater Beckers exzellente Verbindungen in die USA sprechen für einen Wechsel in die Major League Soccer. Wenn Dutt vor seinem Team nicht als „Einknicker“ dastehen will, wird er Ballack nicht mehr aufstellen. Die beim 1:1 in Bremen vor allem nach der Pause ansprechende Leistung der Mannschaft lässt ihm diese Möglichkeit ebenso wie die Tatsache, dass Profis wie Renato Augusto oder Tranquillo Barnetta auf ihr Comeback hinarbeiten. Ballack selbst schwieg zu alledem. Michael Becker erkor den Großverdiener (geschätztes Jahressalär sechs bis acht Millionen Euro) zum „Bauernopfer“, wollte keinen Kommentar mehr abgeben. „Es ist alles gesagt“, so Becker am Samstag zum kicker. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Quelle: kicker-Printausgabe vom 30.01.12