Fast unterwürfig
Leverkusen zeigt viel zu viel Ehrfurcht vor dem FC Barcelona. Statt Selbstvertrauen haben die Spieler vor allem Messis Trikot im Kopf. In devoter Ehrfurcht verpassten es die Spieler, eigene Spielzüge zu kreieren.
Es war bereits kurz vor Mitternacht, die vergötterten Helden des FC Barcelona waren nach und nach hinter den dunklen Scheiben ihres Mannschaftsbusses verschwunden, und die ersten der desillusionierten Zuschauer lagen bereits im Bett, da formulierte Gonzalo Castro tatsächlich ein paar Worte der Zuversicht. „Wir haben ja noch ein zweites Spiel“, sagte der Leverkusener Mittelfeldspieler, und aus dem Zusammenhang gerissen klang dieser Satz, als sehe Castro tatsächlich eine Möglichkeit, die 1:3-Niederlage gegen die Spanier im Rückspiel aufholen zu können. Aber der Mittelfeldspieler hatte über ein anderes Ziel geredet. Es ging um sein Privatprojekt, das Trikot mit Lionel Messi zu tauschen.
Denn im Hinspiel in Leverkusen war es Manuel Friedrich (in der Halbzeit) und Michal Kadlec gelungen, das petrolfarbene Textil ergatterten. „Das kommt in eine Vitrine und darunter ein Text, dass ich ein Tor geschossen habe“, sagte Kadlec, der zum zwischenzeitlichen Ausgleich getroffen hatte (52.). Die Bedeutung, die die Arbeitskleidung des berühmten Gegenspielers für Bayer Leverkusens Fußballer hatte, erzählt viel über die Haltung, mit der die Werkself in dieses Spiel gegangen war. Gefangen in einer devoten Ehrfurcht hatten die Rheinländer eine Halbzeit lang agiert. „Wir hatten zu viel Respekt, fast ein bisschen Angst“, sagte Sportdirektor Rudi Völler zu den ersten 45 Minuten, in denen Barcelona auf eine sagenhafte Ballbesitzquote von 80 Prozent gekommen war.
Es schien, als würden die Leverkusener sich derart vor dem Gegenpressing des Titelverteidigers fürchten, dass sie den Ball lieber freiwillig irgendwo ins Niemandsland des Spielfeldes bolzten, als eigene Spielzüge zu kreieren. „Wir waren diszipliniert und haben taktisch sehr gut gespielt“, fand Trainer Robin Dutt trotz der extremen Unterlegenheit in diesem ersten Durchgang, in dem Alexis Sánchez zum völlig angemessenen 0:1 getroffen hatte (41.). Auch hinter Dutts Worten schimmerte der extreme Respekt der Leverkusener hervor, der nicht weit weg war von einem hilflosen Zustand der Unterwürfigkeit.
Mit Applaus verabschiedet
Dabei ist Barcelona zuletzt durchaus verwundbar gewesen, vor allem auswärts. In der Primera División hat die Mannschaft von Pep Guardiola nur zwei der letzten sieben Partien jenseits des heimischen Nou Camp gewonnen. Und auch in Leverkusen war die irdische Seite des Teams zu sehen, 40 Minuten lang mühte Barça sich vergeblich, die entscheidende Lücke im massiven Leverkusener Defensivverbund zu finden.
Aber Bayer fand keine Mittel, daraus Kapital zu schlagen, was Dutt nicht verwunderte. „Es ist ein enormer Laufaufwand, bis man in Ballbesitz kommt, dann ist der Puls schon auf 200“, sagte der Trainer, und derart am physischen Limit sei eben kein kontrolliertes Offensivspiel mehr möglich. Wobei die zweite Halbzeit eine Art Gegenbeweis zu dieser These lieferte. Der FC Barcelona hatte zwar weiterhin mehr Chancen und gewann auch diesen Durchgang mit einem Tor Unterschied, aber wenigstens hat die Werkself ihr Publikum unterhalten. Am Ende wurde die Mannschaft sogar mit Applaus verabschiedet.
Denn nach dem 1:2, das Sánchez nach einem brillanten Pass von Cesc Fábregas erzielt hatte (55.) war Leverkusen eine Viertelstunde ebenbürtig gewesen. Es gab einen Pfostenschuss Castros, eine Kopfballchance von Stefan Kießling, „ich habe meine Spieler in der Pause gefragt, ob sie an diesem Spiel teilnehmen wollen, oder ob sie es über sich ergehen lassen wollen“, erzählte Dutt später. Das hat zwar nicht zu einem besseren Ergebnis geführt (Messi traf zwei Minuten vor dem Ende noch zum 1:3), dafür aber zu einem würdevolleren Fußballspiel.
Am Ende ist die Werkself der Gegenwart eben eine Nummer zu klein für so ein Champions- League-Achtelfinale gegen den Titelverteidiger. Es wäre interessant gewesen, die mit einem ganz anderen Selbstvertrauen ausgestattete Leverkusener Mannschaft der Vorsaison in dieser Partie zu sehen, aber dieses Team hat sich nach dem Trainerwechsel und dem Abgang von Arturo Vidal irgendwie in Luft aufgelöst. Die Chance auf ein Weiterkommen sei nun „ähnlich groß, als wenn ich morgen Lotto spielen würde“, sagte Stefan Reinartz. Schlimmer noch ist aber die endgültige Erkenntnis, dass dieser Klub einfach nicht von der Stelle kommt.
Seit Jahren mühen sich die Funktionäre, ihre Mannschaft mit einem größeren Selbstvertrauen, mit einer stärkeren Gier auf Erfolge auszustatten. Schon lange gilt das Team als zu brav, besonders in den großen Spielen. Und dieser quälende Charakterzug ist an diesem Abend so deutlich hervorgetreten wie schon lange nicht mehr.