Franziska Böhler hatte ihren Job auf einer Intensivstation gekündigt. Jetzt ist sie zurückgekehrt, um ihre Kollegen in der Coronakrise zu unterstützen.
...Das Robert Koch-Institut hat die Kontakt- und Quarantänemaßnahmen für das Pflegepersonal aufgeweicht. Quarantäne, selbst nach engem und riskantem Kontakt zu Covid-19 Erkrankten, soll für uns sehr viel kürzer dauern. Unter Umständen sollen wir sogar positiv getestet unsere Arbeit verrichten, solange wir kaum oder keine Symptome spüren. In manchen Krankenhäusern wird das bereits so gehandhabt, wie ich von Kollegen höre...
...Stattdessen geraten viele von uns direkt in die Schusslinie – mit viel zu wenig Schutzmaterial. Kollegen, mit denen ich in Kontakt bin, fühlen sich wie Kanonenfutter, manche wie Menschen zweiter Klasse. Für sie sind solche Vorgaben nach Jahren, in denen sie unterbesetzt und unter schlechten Bedingungen arbeiten musste, ein zusätzlicher Schlag ins Gesicht...
...In unserer Klinik können wir die meisten Standards noch einhalten, wenn auch reduzierter als sonst: Die FFP-Masken müssen wir jetzt länger nutzen. Auch mit dem übrigen Material müssen wir haushalten, weil niemand weiß, wie lange die Lagerbestände noch reichen und was künftig noch lieferbar sein wird.
Unser Chef hatte die Masken schon zu Beginn des Corona-Ausbruches einschließen lassen. Unglaublich, dass sowas notwendig ist, aber immerhin haben wir jetzt Material. In manchen Häusern sind die Kollegen angehalten, ihre Masken zu Hause auszukochen. Ich würde mich weigern. Ich schleppe doch kein infiziertes Krankenhausmaterial nach Hause zu meinen Kindern...
...Mich erreichen immer mehr Nachrichten von Kollegen aus anderen Häusern, dass es an Allem fehlt: Besonders dramatisch ist die Lage in den Alten- und Pflegeheimen, die grundsätzlich kaum mit Schutzmaterial ausgestattet sind, genauso wie die ambulanten Pflegedienste...
...Es tut gut, dass die Menschen jetzt auch außerhalb der Klinikmauern wahrnehmen, was Medizin und Pflege leisten. Noch vor ein paar Wochen interessierte es nur wenige, wie wir arbeiten. Wir machen seit Jahren auf unhaltbare Zustände aufmerksam. Nun sickert es vielen allmählich ins Bewusstsein: Wir Pflegekräfte sind systemrelevant – und arbeiten doch oft unter extrem schlechten Bedingungen.
Das ist auch der Grund, warum jetzt offen über Zwangsrekrutierungen von Pflegepersonal nachgedacht wird. Ich hielte eine solche Entscheidung für einen massiven Eingriff in die Grundrechte. In den letzten Jahren haben Tausende Menschen die Pflege verlassen, weil sie die Bedingungen nicht aushalten konnten. Jetzt sollen sie unter Zwang in diese - nein noch gefährlichere - Bedingungen zurückkehren?
...Wenn das System implodiert, dann aufgrund des Personalmangels. Beatmungsgeräte kann man bauen, aber die Menschen, die sie bedienen können und die Patienten versorgen, die kann bisher noch keiner zusammenschrauben. Die Zahlen über aufgestockte Intensivbetten und Geräte klingen imposant. Aber Betten und Geräte allein werden niemanden retten können.
>>>spiegel