Interview mit Bernd Schneider
"Der Schneider ist der, der das 13:0 schoss‘‘
Der deutsche Mittelfeldspieler versucht zu erklären, wie er dem Alter trotzt und mit 33 Jahren immer besser wird. Und warum ihm das Tor gegen San Marino so wichtig war.
Interview: Christof Kneer und Ludger Schulze
SZ: Herr Schneider, wie geht’s?
Schneider: Sehr gut, vielen Dank.
SZ: Es tut gar nichts weh?
Schneider: Nein, mir geht’s gut.
SZ: Damit fallen Sie leider völlig aus der Statistik. 16 der 23 WM-Teilnehmer, das wurde gerade veröffentlicht, hatten oder haben in dieser Saison mit mehr oder minder schwierigen Verletzungen zu kämpfen.
Schneider: Ja, ich weiß, das hab ich auch gerade gelesen. Dann gehör’ ich wohl zu den sieben anderen.
SZ: Während andere ausgiebig über das sogenannte WM-Loch klagten, haben Sie die letzten Saison-Länderspiele gegen San Marino und die Slowakei problemlos erreicht. Sie sind verletzungsfrei und ohne zu murren durch die Saison gekommen. Sind Sie ein biologisches Wunder?
Schneider: Nein, das stimmt nicht ganz, ich hatte mal einen kleinen Mikrofaserriss...
» Die rennt den ganzen Tag rum und schlägt auch schon Haken. «
Bernd Schneider über seine 5 Jahre alte Tochter
SZ: ... also, dann sind Sie bis auf einen kleinen Mikrofaserriss verletzungsfrei durch die Saison gekommen. Haben Sie eine Erklärung dafür, dass Sie, der mit Abstand älteste deutsche Feldspieler, die beste Saison aller WM-Teilnehmer hingelegt haben?
Schneider: Aus meiner Sicht hat sich die WM positiv ausgewirkt. Die körperlichen Grundlagen waren durch das harte Trainingslager geschaffen, und nach dem WM-Urlaub konnte ich dann in der kürzeren Saison-Vorbereitungszeit dosiert, aber trotzdem intensiv trainieren. Ich habe während der Saison auch mehr als sonst im regenerativen Bereich gearbeitet. Und ich mach’ immer noch brav die Übungen, die uns Jürgen Klinsmanns Fitnesstrainer damals angeboten haben. Diese Mischung aus hartem Training und regenerativen Einheiten hat mir auf meine alten Tage sehr viel gebracht.
SZ: Aber die anderen Nationalspieler haben in ihren Vereinen doch sicher ähnlich trainiert wie Sie und trotzdem Probleme bekommen. Kann es sein, dass Sie einfach gute Gene haben?
Schneider: Über meine Gene möchte ich lieber nichts mehr erzählen.
SZ: Warum?
Schneider: Ich hab’ vor einiger Zeit in einem Interview schon mal über meine guten Gene gesprochen, und prompt hab ich mir diesen Mikrofaserriss geholt.
SZ: Also gut, dann hört das Schicksal jetzt mal weg: Kann es sein, dass Sie einfach gute Gene haben?
Schneider: Kann schon sein, dass das so ist. In unserer Familie sind alle drahtig und sportlich, und wenn man meine Tochter anschaut, sieht man gleich, was sie von mir geerbt hat. Die ist fünf und kann wie ich auch nie genug kriegen von Bewegung. Die rennt den ganzen Tag rum und schlägt auch schon Haken.
SZ: Aber ist es nicht trotzdem erstaunlich, dass Sie als 33-Jähriger seit einem Jahr fröhlich ums WM-Loch herumdribbeln, während von den jüngeren einer nach dem anderen hineingeplumpst ist?
Schneider: Man darf da nicht nur aufs Alter schauen. Man muss auch bedenken, wie schwierig es für junge Spieler ist, mit Confed-Cup und WM praktisch zwei Jahre durchzuspielen. Für viele war das auf diesem Niveau eine völlig neue Situation: Die wurden ins kalte Wasser geworfen, standen permanent unter Druck und mussten sich immer wieder neu beweisen. Das ist viel schwieriger, als gezeigte Leistungen nur zu bestätigen.
SZ: Heißt das, ein älterer Spieler kann mit solchen Belastungen sogar besser umgehen als ein jüngerer?
Schneider: Es ist auf jeden Fall so, dass man lockerer bleibt, weil man weiß, was man kann.
SZ: Man lässt sich nicht mehr verrückt machen?
Schneider: Ja, weil man vieles schon selbst erlebt hat. 2002 zum Beispiel, nach der WM in Asien, hab ich so oft vom WM-Loch gehört und gelesen, bis ich irgendwann selber dran geglaubt habe. Am Anfang hab ich noch gesagt, lasst mich in Ruhe, ich hab kein WM-Loch, aber wenn man mal zwei, drei Spiele nicht so gut drauf war, denkt man gleich: Aha! Das WM-Loch! Aber das habe ich hinter mir, diesmal hab’ ich mir nichts mehr einreden lassen. Das ist eben der Vorteil, wenn man ein alter Mann ist.
SZ: Was kann der ältere Fußballer Bernd Schneider besser als der jüngere?
Schneider: Ich spiele vorausschauender. Ich weiß jetzt, wann es keinen Sinn mehr macht, an der Außenlinie nach einem Ball zu rutschen, den man eh nicht mehr erwischt. Früher bin ich in solchen Fällen mit dem Ball ins Aus gerutscht. Heute lass ich ihn einfach raustrudeln.
SZ: Man hat aber eher das Gefühl, dass Sie mehr laufen als früher.
Schneider: Wir haben in Leverkusen seit 2004 ein technisches System, mit dem wir genau erfassen können, wer im Spiel wie viel läuft, wie viele Tempoläufe dabei sind, wie viele Sprints. Ich hab immer noch dieselben Werte wie 2004.
» Ich kann jetzt nicht sagen, dass ich mich wie 25 fühle, weil ich nicht mehr weiß, wie sich das anfühlt. «
SZ: In den Statistiken der Champions League findet man oft Mittelfeldspieler, die pro Spiel zehn, elf Kilometer laufen.
Schneider: Unser Simon Rolfes kommt manchmal an die zwölf ran. Aber elf Kilometer, das schaffe ich auch noch.
SZ: Werden ältere Fußballer unterschätzt?
Schneider: Ab einem gewissen Alter bestimmt, dabei gibt’s dafür gar keinen Grund. Schauen Sie sich mal an, wie gut der AC Mailand mit all seinen Maldinis und Cafus Fußball spielt. Und es ist ja nicht so, dass der Maldini in der Liga pausiert. Der spielt fast immer durch.
SZ: Wenn Sie im Verein täglich mit den Castros, Rolfes’ und Kießlings trainieren: Merken Sie dann, dass Sie älter sind als die?
Schneider: Manchmal komm ich morgens in die Kabine und denke: Huch, was hört der da? An der Musik und an der Mode merke ich, wie alt ich geworden bin.
SZ: Ist die jetzt zu Ende gehende Saison die beste, die Sie je gespielt haben?
Schneider: Ich habe, glaube ich, schon einige gute Saisons gespielt, aber diese war zumindest die auffälligste. Es waren einige wichtige Tore dabei, aber eben auch ein paar spektakuläre, der Hackentrick im Uefa-Cup gegen Blackburn zum Beispiel oder auch ein paar Freistoßtore.
SZ: Wie alt oder jung haben Sie sich denn gefühlt in dieser Saison?
Schneider: Ich kann jetzt nicht sagen, dass ich mich wie 25 fühle, weil ich nicht mehr weiß, wie sich das anfühlt. Aber ich fühle mich auf jeden Fall fit genug für zwei, drei weitere Jahre Bundesliga.
SZ: Nur zwei, drei Jahre? Sie mit Ihren Schneider-Genen können doch spielen, bis Sie 40 sind.
Schneider: Bis 2009 geht mein Vertrag, weiter denke ich erst mal nicht.
SZ: Ist die Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika noch ein Thema für Sie?
Schneider: Nein.
SZ: Wirklich nicht? Sie wären 36...
Schneider: ...fast 37...
SZ: ... und könnten sicher noch eine gute Rolle spielen.
Schneider: Als Fan werde ich sicher dabei sein. Ich hab mit Freunden eine Skatkasse aufgemacht, und da sammeln wir schon für die Reise nach Südafrika.
SZ: Wenn’s der DFB zahlt, wäre die Reise für Sie billiger.
Schneider: Nein, ich kann die Kumpels jetzt nicht mehr enttäuschen, und wir werden schon einen Flug finden, den wir uns leisten können.
SZ: Mit anderen Worten: Nach der Euro 2008 beenden Sie Ihre Karriere in der Nationalmannschaft.
Schneider: Das ist der Plan, ja.
SZ: Und man kann Sie nicht mehr überreden?
Schneider: Man soll ja nie nie sagen, also sagen wir’s mal so: Nach heutigem Stand ist das der Plan.
» 12:0 sieht als Ergebnis ja nicht so schön aus wie 13:0. «
SZ: Warum wollen Sie denn aufhören, wenn Sie sich noch so fit fühlen?
Schneider: Naja, irgendwann muss es doch auch mal gut sein. Irgendwann muss man doch mal sagen: War eine schöne Zeit, danke, jetzt reicht’s.
SZ: Wenn man Ihnen zuhört, gewinnt man den Eindruck, dass Sie nur deshalb aufhören, weil man das halt so macht in diesem Alter. Setzen Sie sich doch mal über dieses ,man‘ hinweg. Sagen Sie doch einfach: Mir ist wurscht, ob ich 36 bin, ich fühle mich fit, ich mache weiter.
Schneider: Ich hab ja immer gesagt, dass ich danach vielleicht noch mal in meiner Heimatstadt Jena spielen will.
SZ: Eigentlich müssen Sie ja sogar weiterspielen, denn mit dieser Torquote können Sie im Nationalteam unmöglich aufhören.
Schneider: Drei Tore in 76 Länderspielen, das ist zu wenig, ich weiß. Aber mein Minimalziel hab ich immerhin erreicht: Ich wollte nicht mit einem Länderspiel-Tor aufhören. Mein erstes Tor für den DFB hab ich ja schon im zehnten Länderspiel erzielt...
SZ: ... bei der WM 2002, es war das wichtige 8:0 gegen Saudi-Arabien...
Schneider: ... ja, und dann hab ich bis zum 70. Länderspiel auf mein zweites Tor warten müssen. Über vier Jahre bin ich dem zweiten Tor hinterhergerannt, und meine Angst war immer, dass für immer und ewig ,ein Tor‘ in der Statistik steht. Zwischenzeitlich sind mir ja auch mal ein paar Tore geklaut worden, einmal, gegen Litauen, wurde das Tor zurückgepfiffen, obwohl der Ball nach der Flanke gar nicht im Aus war. Und gegen Kanada hab ich ein Abseitstor geschossen, das nie und nimmer Abseits war.
SZ: Aber dann kam das erlösende 1:0, beim Testspiel gegen Schweden, dem ersten Länderspiel nach der WM 2006.
Schneider: Ja, und mein drittes Länderspiel-Tor war dann das 13:0 gegen San Marino. Auch ein extrem wichtiges Tor, denn 12:0 sieht als Ergebnis ja nicht so schön aus wie 13:0. Jetzt werden sich die Leute an mich erinnern, wenn ich mal aufgehört habe. Die Leute werden sagen: Der Schneider, das ist doch der, der das 13:0 gegen San Marino geschossen hat.