Nach dem 0:5 gegen ManUnited gab’s Kritik. Doch Leverkusen zeigte gegen Dortmund, dass es auch anders geht. SIMON ROLFES (31) über San Sebastian und den Titelkampf in der Liga.
Freuen Sie sich eigentlich überhaupt auf das Spiel in San Sebastian, Herr Rolfes?
Ja, klar. Wieso nicht?
Weil es nach dem 0:5 gegen Manchester United im vorangegangenen Gruppenspiel mediale Prügel setzte.
Dann hätte ich ja direkt danach das Spielen einstellen und auch nicht mehr in der Bundesliga antreten müssen. Das Spiel gegen Manchester ging natürlich in der Höhe und auch in der Art und Weise nicht. Aber die Situation ist für uns nicht so schlecht. Vor der Saison hätte die jeder akzeptiert: Wenn wir in San Sebastian gewinnen oder einen Punkt holen und Donezk in Manchester verliert, wovon man ausgehen muss, und wir weiterkommen, dann ist doch alles in Ordnung.
Nach dem 0:5 wurde sogar von „Schande“ gesprochen. Wie bewerten Sie das?
Man muss sich daran gewöhnen, dass die medialen Ausschläge heutzutage extrem ausfallen. Das war eine Leistung, die nicht ging, keine Frage. Aus welchen Gründen auch immer, das kann man nicht erklären, es gibt solche Tage.
Danach hieß es: „Typisch! Wenn es um etwas geht, verliert Bayer“. Was halten Sie von dieser These?
Wir haben letzte Saison in München gewonnen, sind in die Champions League eingezogen – da gab es eine Phase, in der Schalke an uns dran war, da haben wir fünf Spiele in Serie gewonnen. Davon redet keiner. Sich immer irgendwelche Spiele rauszupicken ist natürlich einfach. Wie 2012 das Spiel in Barcelona (1:7, Anm. d. Red.): Welche Mannschaft hat – vor den Bayern letzte Saison – Barcelona denn rausgeworfen? Das ist nicht nur uns so ergangen. Das war damals mit Abstand die beste Mannschaft der Welt.
Dennoch hat Sportdirektor Rudi Völler gesagt, dass Typen fehlen würden, die sich wehren. Ist Bayer 04 zu brav?
Das glaube ich nicht. Wenn man unsere Spielweise in den letzten 18 Monaten sieht, da haben wir häufig enge Spiele für uns entschieden. Da wurden wir von Journalisten sehr oft gefragt, ob das eine neue Mentalität ist, dass wir auch solche Spiele gewinnen. Wie jetzt auch im Pokal in Freiburg. Dass wir zu brav sind, glaube ich nicht. Dass es gegen Manchester kollektiv schlecht war, das stimmt.
Also braucht Bayer keine „aggressiven Leader“?
Ich habe nicht das Gefühl, dass wir, abgesehen vom ManUnited-Spiel, nicht aggressiv genug auftreten.
Leverkusen hat gegen Nürnberg anfangs nicht so selbstbewusst gewirkt, und auch in Freiburg hat die Mannschaft nicht ihr volles Potenzial abgerufen. Inwieweit steckt dieses 0:5 noch in den Köpfen?
Gegen Nürnberg war das zu Beginn schon so. Da haben wir ein bisschen gebraucht, um mutiger nach vorne zu spielen. Das war mit Sicherheit eine Auswirkung des ManUnited-Spiels. In Freiburg haben wir anfangs so leicht unsere Chancen bekommen, dass wir gedacht haben: Das wird schon. Das war ja Wahnsinn, wie die uns die Dinger aufgelegt haben. Aber wir haben nur ein Tor gemacht. Freiburg hatte dann eine gute Aktion und ist aufgekommen. Wir haben nachgelassen. Ich glaube nicht daran, dass das Manchester-Spiel da noch Auswirkungen hatte. Nein, ManUnited ist abgehakt.
Wie schätzen Sie die Chancen aufs Weiterkommen in der Champions League ein?
Ich bin davon überzeugt: Wenn wir unsere Hausaufgaben machen, was sicherlich schwer wird, kommen wir weiter. Wir haben es nicht in der eigenen Hand, aber es wäre auch überraschend, wenn Donezk in Manchester gewinnen würde. Davon muss man nicht ausgehen.
Sie würden also nicht mit Donezk tauschen wollen?
Ich glaube nicht, dass unsere Ausgangsposition schlechter ist als die von Donezk.
In der Bundesliga hat Bayer 04 eine sensationelle Bilanz, hat nach 15 Spielen schon 37 Punkte geholt. Mit dieser Ausbeute hat man im Regelfall Meisterschaftsambitionen. Ist der Titel für Bayer möglich?
Natürlich ist der Titel möglich! An den Zahlen sieht man, dass wir eine sensationelle Saison spielen. Es wird jetzt viel von diesem einen Spiel gegen ManUnited gesprochen, aber vor zwei Jahren hätten wir mit dieser Ausbeute sechs Punkte vor dem Zweiten gestanden. Allerdings gibt es inzwischen ein Bayern München auf einem nie da gewesenen Niveau. Die haben es letztes Jahr am Ende auf 91 Punkte gebracht und liegen jetzt von ihrem Punkteschnitt sogar noch darüber. Das ist Wahnsinn. Es ist verdammt schwer, aber prinzipiell ist alles möglich im Fußball.
Nur prinzipiell?
Bayern hat natürlich den Riesenvorteil, dass sie durch Verletzungen gar nicht geschwächt werden können. Fallen fünf aus, merkt das keiner. Das geht nicht bei Dortmund, noch weniger bei uns.
Leverkusen ist erster Bayern-Verfolger. Kann Bayer 04 diese Übermannschaft stoppen?
Wir müssen hoffen, dass sich möglichst wenige Spieler bei uns verletzen. Sonst würde das unsere Leistung schon enorm beeinträchtigen. Mit dem Risiko müssen wir leben. Da muss eben alles passen. Wenn man wie die Bayern weiß, dass es dieses Risiko nicht gibt, ist das ein Pfund, das schwer wiegt.
Bayer 04 steht nach dem Sieg in Dortmund sechs Punkte vor dem BVB. Ist das eine Sensation oder lediglich eine Momentaufnahme?
Weder noch. Dortmund hat in der Champions League vergangene Saison herausragende Leistungen abgeliefert. Dafür sind sie zu Recht sehr gelobt worden. Trotzdem waren wir letzte Saison nur einen Punkt hinter Dortmund. Dass wir jetzt da stehen, wo wir sind, ist von daher keine Überraschung, die vom Himmel gefallen ist.
Leverkusen ist der schärfste Bayern-Verfolger, wurde aber bis Samstag nicht so wahrgenommen. Stört es Sie, dass Bayer 04 nicht ernst genommen wird?
Ich glaube, dass das medial ab und zu so ist. Aber wenn man mit Kollegen von anderen Vereinen spricht, dann wissen die schon, wie gut Bayer Leverkusen ist. Die öffentliche Wahrnehmung rührt von der vergangenen Saison und dem Duell Bayern gegen Dortmund in der Champions League her. Das wird jetzt auf die Liga projiziert.
Zu Beginn der Saison begeisterte Bayer. Zuletzt war die Leichtigkeit weg, aber Leverkusen punktete trotzdem. Früher hieß es auf die Bayern bezogen: Das zeichnet eine absolute Topmannschaft aus. Ist Bayer also eine?
Natürlich sind wir das. Schon letzte Saison – und dieses Jahr mit der Punktausbeute noch viel mehr. Die gab es in Leverkusen selten. Wir haben viele englische Wochen, haben nicht die großen Rotationen in der Mannschaft. Dass man dann auch mal sehr effizient spielen muss, um zu gewinnen, ist einfach so. Da muss man auch mal clevere Siege nach Hause bringen.
Ihr Vertrag in Leverkusen läuft 2015 aus. Dann sind Sie 33 Jahre alt. Beenden Sie Ihre Karriere bei Bayer 04?
Davon ist im Moment auszugehen. Ich muss nicht noch mal am Ende in Katar spielen. Alemannia Aachen (derzeit Regionalligist, Anm. d. Red.), wo ich meine Profikarriere begonnen habe, steht gerade auch nicht so da, dass ich sagen würde: Da hänge ich noch ein Jahr dran. Fußball ist ein wunderschöner Beruf, aber mein Ziel ist es, auf Top-Niveau aufzuhören.
Vorher aber noch einen Titel zu holen wäre doch nicht schlecht, oder?
Ja, aber das ist durch die Kaderzusammenstellung der Bayern nicht einfacher geworden.
Fehlt Ihnen ein Titel, damit Ihre Karriere rund wird?
Natürlich ist ein Titel wunderschön. Aber am Ende einer Karriere zählen die Erlebnisse, die besonderen Momente – natürlich auch Titel –, aber auch ganz viele andere Sachen. Wenn man in seiner Karriere mal einen Titel geholt, aber sonst ganz viel Mist erlebt hat, dann weiß ich nicht, ob diese Karriere dann unbedingt rund ist, nur weil man einen Titel gewonnen hat. Man muss eine Karriere als Ganzes sehen. Wenn sie mit Titeln garniert ist, ist das wunderbar.
Sie brauchen keinen zum Glück?
Titel allein machen auch nicht glücklich. Es hätte ja auch für mich die Möglichkeit gegeben, zu Vereinen zu wechseln, wo die Wahrscheinlichkeit für Titelgewinne sehr hoch ist.
Zum Abschluss noch eine Frage: Bayer kommt in der Champions League weiter, weil …
… wir in San Sebastian gewinnen.
INTERVIEW: STEPHAN VON NOCKS
Quelle: kicker-Printausgabe vom 09.12.13