Deutsch für Ballkünstler

  • Ausländische Profis müssen Deutsch lernen. Seit einiger Zeit benutzen sie dafür ein Lehrbuch, das eigens für sie von Linguisten der Dortmunder Universität geschrieben wurde. Es erklärt Ihnen die Sprache mit den Mitteln des Fußballs


    Von Roger Repplinger


    "Meckern?", fragt Roque Junior. "Hm, ja, meckern, hm", überlegt Sara Classmann und erklärt das Wort auf Englisch. Dann übersetzt es Roque Junior auf Portugiesisch. Und Frau Classmann, die zwar Spanisch, aber kein Portugiesisch spricht, nickt. Roque Junior hat "meckern" verstanden. "Schwieriges Wort", erklärt Frau Classmann, "aber ein wichtiges Wort im Deutschen." Roque schreibt mit einem Bleistift "meckern" in ein grünes Heft. Hinten auf dem Bleistift steckt ein Radiergummi. Das ist praktisch.


    Welche Sprache spricht der Fußball? Im American Diner des Lindner-Hotels direkt neben der BayArena läuft Champions League im Fernsehen, davor sitzt Mittelfeldspieler Paul Freier und guckt. In anderthalb Stunden ist Training. Es ist kurz nach 14 Uhr, in anderthalb Stunden ist Training und Roque Junior, der brasilianische Weltmeister in der Innenverteidigung von Bayer Leverkusen, lernt Deutsch. Er tut das mit einem besonderen Buch. Es heißt "Deutsch für Ballkünstler. Lehrmaterialien für den Deutsch-Unterricht mit ausländischen Fußballspielern", das drei Dortmunder Linguisten zusammen mit Praktikern aus Leverkusen entwickelt haben. Mit diesem Buch wird auch in Wolfsburg, Bielefeld und Aachen gearbeitet.


    Waschmaschine? "Lass mich damit zufrieden"


    Uwe Wiemann, der das Lehrbuch zusammen mit anderen Doktoranden am Institut für Deutsche Sprache und Literatur der Universität Dortmund geschrieben hat, ist inzwischen Lehrer. In der Saison 2000/01 sah er von seinem Platz auf der Dortmunder Südtribüne aus, wie der damalige Borussen-Trainer Matthias Sammer mit seinem Einwechselspieler Evanilson per Dolmetscher sprach. Wiemann sagte sich: "Da stimmt was nicht. Die Vereine geben Millionen von Euro für einen neuen Spieler aus und sind, was das Deutsch lehren anbelangt, so unprofessionell, dass ein Spieler wie Evanilson nach eineinhalb Jahren immer noch nicht genügend gelernt hat, um die Anweisungen seines Trainers zu verstehen."


    Wiemann wandte sich an Frank Ditgens von Bayer Leverkusen. Ditgens koordiniert die Betreuung der ausländischen Fußballer bei Bayer und war mit den Deutschbüchern, die im Sprachunterricht verwendet wurden, unzufrieden. Die Spieler waren es auch. Ditgens wusste, "dass sich die Spieler bei den vorhandenen Lehrbüchern kaputtlachen. Als Lucio im Lehrbuch das Bild einer Waschmaschine entdeckte, sagte er: ,Lass mich damit zufrieden.‘" Lucio konnte auch mit "Ich stopfe, du stopfst, er, sie, es stopft Socken" nichts anfangen. Lucio stopft keine Socken. Das war nicht seine Welt. "Sie müssen einen Spieler, der nach Brasilien zur Nationalmannschaft fliegt, der Champions League spielt, ständig unterwegs ist, ein Lehrbuch geben, das ihn motiviert Deutsch zu lernen."


    Roque Junior ist mit seinem Deutschbuch zufrieden. "Es motiviert", sagt er, "dass die Beispiele aus dem Leben eines Fußballers kommen." Die Zahlen von eins bis 20 werden an den Rückennummern berühmter Spieler erklärt. Größere Zahlen über Punktestände. Es subtrahiert und addiert sich leicht, wenn man die Dreipunkteregel kennt. Roque Junior lernt seit einem Jahr Deutsch. Er versteht mittlerweile fast alles, auch das, was in der Kabine gesprochen wird.


    Gute Sprachkenntnisse tragen zur Integration des Spielers bei. Und sie erhöhen seinen Transferwert!


    Gute Sprachkenntnisse tragen zur Integration bei, sagt Ditgens: "Das ist entscheidend. Wenn ein Spieler im Alltag sprachlich zurechtkommt, fühlt er sich wohl. Er ist besser integriert. Er hat mehr Kontakt." Leverkusen hat darüberhinaus ein wirtschaftliches Interesse daran, dass ein Fußballer und seine Familie Deutsch sprechen: "Wenn er das kann, spielt er besser. Damit erhöht sich der Wert des Spielers. Das hat bei Jorginho, Emerson, Paulo Sergio, Zé Roberto und zuletzt Lucio funktioniert. An den Transfers dieser Spieler, ins Ausland oder zu Bayern München, hat Bayer 04 Leverkusen Geld verdient."


    oque und Frau Classmann sitzen in einer Nische und büffeln. "Wir sind sehr unzufrieden mit dir", sagt Sara Classmann. Roque Junior verzieht keine Miene und wiederholt: "Wir sind sehr unzufrieden mit dir." Er nickt, das hat er verstanden. Heute ist der "sechste Spieltag" dran. Das Buch ist nach den 17 Heimspielen einer Saison aufgebaut. Der Trainer und der Spieler unterhalten sich. "Komm mal her", sagt der Trainer. Frau Classmann ist jetzt der Trainer. Roque nickt. "Du musst dich mehr konzentrieren", sagt Trainer Classmann. "Das habe ich schon gehört", nickt Roque, lächelt und nippt von seinem Maracujasaft.


    Frank Ditgens hat mit seinen ausländischen Spielern viel erlebt. Da war zum Beispiel die Geschichte mit der Freundin eines Profis, die spät in der Nacht auf Ditgens Mobilnummer anrief, weil sie es nicht gewohnt war, selbst zu tanken. Ein anderer Spieler aus Südamerika rief morgens um drei an, weil er Spaghetti kaufen wollte. Was das für ein Land sei, in dem morgens um drei die Geschäfte geschlossen seien? Ditgens musste ihn auf den nächsten Tag vertrösten. Und dann ist da die Sache mit der Versicherung. "Nein, nein", sagte Athirson, den Leverkusen als Nachfolger von Diego Placente für die linke Abwehrseite geholt hat, "ich brauche das alles nicht." Krankenversicherung? Pflichtversicherung? "Was soll das sein?", fragte Athirson. "Und dann auch noch so teuer?" Es dauerte, bis er überzeugt werden konnte, dass es ohne Krankenversicherung in Deutschland nicht geht.


    "Wir sind zufrieden mit dir", sagt Trainer Classmann, und Roque Junior antwortet: "Ja, schön." Dann werden die Seiten gewechselt. Nun ist Roque Junior der Trainer und Frau Classmann der Spieler. "Trainer", fragt Frau Classmann besorgt, "wie bin ich im Spiel?" Roque kratzt sich am Kopf. "Gut. Du bist gut", antwortet er. "Und im Zweikampf?", bohrt Frau Classmann weiter. Roque schaut in das Buch: "Du bist gut im Zweikampf", sagt er.


    Die Grammatik in "Deutsch für Ballkünstler" ist auf das Notwendige eingedampft. Die Spieler sollen lernen, mit dem Trainer zu sprechen, mit Ärzten, Physiotherapeuten, Schiedsrichtern, Mitspielern. Es geht um ein Grundwissen: die Terminologie des Fußballs. Als die Linguisten der Universität Dortmund eine Rohfassung des Buches in die Finger bekamen, waren sie nicht begeistert darüber, dass den Fußballern nur die Du-Form der Verben gelehrt wird und sowohl der Artikel als auch die verschiedenen Fälle wegfallen.


    Frau Classmann tut aber noch ein bisschen Grammatik dazu. Sie versteht das Buch als "Grundlage. Es ist ja niemand verpflichtet, nur das zu machen, was hier drin steht. Mehr geht immer." Aber wichtiger als der Dativ ist das Spielfeld: Eckfahne, Mittelkreis, Strafraum, Torraum und die Positionen Angriff, Mittelfeld, Abwehr und Tor. Der Spieler muss eintragen, wo er spielt und die Spieler einer Weltauswahl auf die richtige Position stellen. Deutschland und seine Bundesländer werden über die verschiedenen Städte, in denen Profifußball gespielt wird, vorgestellt.


    "Du spielst zu offensiv", sagt Trainer Classmann, da braucht Roque kein Lehrbuch: "Ich spiele zu defensiv", kommt es prompt. "Hast du private Probleme?", fragt Frau Classmann. Roque schüttelt den Kopf: "Nein, habe ich nicht." Classmann fragt: "Willst du mehr trainieren." Roque Junior antwortet: "Nein". Das klappt schon prima.


    Während des Spiels spricht Roque Englisch, mit den brasilianischen Nebenleuten Juan und Athirson Portugiesisch. "Deutsch zu sprechen würde zuviel Konzentration kosten", sagt er. Dafür ist nicht genug Zeit, meint er. Auch mit dem Schiedsrichter spricht er Englisch. Roque weiß, dass er sich prima in Deutsch unterhalten könnte, aber er macht es noch nicht. "Es ist ein Schritt, Deutsch dann auch zu sprechen", sagt er. Auf Englisch. Und welche Sprache spricht der Fußball? "Frag ihn selbst", sagt Roque Junior.


    Die ZEIT