Hier der Wortlaut des Carrointerviews in derFAZ
Herr Carro, Bayer Leverkusen spielt bislang eine nahezu perfekte Saison, sowohl was die Ergebnisse betrifft als auch die Spielweise. Müssen Trainer Xabi Alonso und die Spieler nur noch daran arbeiten, diesen Zustand zu konservieren?
Nein, ich würde nicht sagen, dass wir nur noch ein Qualitätsniveau halten müssen. Wir müssen zum Beispiel noch besser werden in der Chancenverwertung oder in unserer Durchsetzungsfähigkeit im letzten Drittel. In so einem dominanten Spiel wie dem 1:1 gegen Borussia Dortmund sollten wir mehr Tore schießen. Bei 35 von 39 möglichen Punkten in der Bundesliga ist unser Niveau zwar außergewöhnlich hoch, aber wir müssen uns noch konsequenter belohnen.
Hilft es, dass in diesen anstrengenden Wochen vor Weihnachten vergleichsweise große Herausforderungen anstehen wie das Duell gegen Dortmund am vorigen Spieltag und nun am Sonntag (15.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Bundesliga und bei DAZN) die Partie in Stuttgart, wo die Mannschaft vermutlich alleine wegen der Tabellenkonstellation motiviert ist?
Eigentlich brauchten wir diese Art der Motivation bisher nicht. Eine der Qualitäten in unserem Trainerteam und in der Mannschaft ist, dass wir es bisher geschafft haben, alle Spiele sehr fokussiert und griffig zu beginnen. Aber wir haben das nicht immer 90 Minuten durchgehalten. In Hoffenheim oder in Molde haben wir beispielsweise bei einer Führung zur Halbzeit ein bisschen nachgelassen. Es gibt immer Raum für Verbesserung.
Sie hatten in Ihrer ersten Zeit bei Bayer 2019 angekündigt, die Kultur des Vereins etwas verändern zu wollen, eine größere Widerstandskraft und einen stärkeren Hunger nach Erfolgen zu etablieren. Ist diese Saison das Ergebnis dieses Vorhabens, oder ist Xabi Alonso der Hauptfaktor, wie es oft öffentlich dargestellt wird?
Wir haben im obersten Führungskreis eine sehr starke, stabile und leistungsfördernde Konstellation gefunden. Alle profitieren von der Erfahrung und Expertise des anderen, auch ich habe dazugelernt. Vor ein paar Jahren wäre ich mit der Situation, in der wir uns jetzt befinden, euphorischer und viel weniger gelassen umgegangen. Wir wissen, dass wir einen ganz starken Fokus brauchen. Xabi Alonso ist eine Hauptfigur, das ist richtig. Aber wir sind insgesamt professioneller geworden, wir haben an ganz vielen Stellschrauben gedreht, der ganze Klub ist gereift, in der Breite, aber auch in der Spitze.
Als Reaktion auf den Absturz zu Beginn der vergangenen Saison ist außerdem Thomas Eichin von der Leitung des Nachwuchsleistungszentrums zum „Direktor Lizenz“ befördert worden, der das damals nicht ganz konfliktfreie Binnenklima in der Kabine beobachtet und steuert. Geht es auch um solche von außen kaum wahrnehmbare Details?
In der Kabine versammelt sich fast jeden Tag eine Gruppe hochveranlagter Individuen mit völlig unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und verschiedenen Charakteren. Das ist ein sensibles, komplexes Gebilde, das es professionell, manchmal mit Härte, vor allem aber mit Fingerspitzengefühl und immer im Zusammenspiel mit dem Trainerteam zu managen gilt. Dass Simon Rolfes diese Rolle Thomas Eichin übertragen hat, ist für mich einer von mehreren Erfolgsfaktoren dieser Hinrunde.
Jenseits Ihrer Arbeit im Klub sind Sie stark auf fußballpolitischem Terrain engagiert, wo am kommenden Montag auf der Mitgliederversammlung der Deutschen Fußball Liga (DFL) nach dem gescheiterten Versuch aus dem Frühjahr zum zweiten Mal über eine strategische Partnerschaft mit einem Investor abgestimmt wird. Mit welchem Gefühl schauen Sie darauf?
Ich bin wirklich gespannt, weil schwer zu sagen ist, was dort passieren wird. Eigentlich denke ich, dass es vor einer Abstimmung dieser Tragweite schon im Vorfeld ein klares Meinungsbild bräuchte, aber das ist schwer. Mein Eindruck ist, dass aus der ersten Bundesliga zwischen 13 und 15 Stimmen kommen werden. Aber es gibt wieder Klubs, die sich eindeutig gegen das Projekt positioniert haben, wie Freiburg und Köln. Vielleicht schwanken noch zwei oder drei, aber ich glaube, in der ersten Liga wird es die notwendige Zweidrittelmehrheit geben.
Was ist mit den Vereinen der zweiten Liga?
Dorthin habe ich nicht so eine enge Verbindung, auch weil ich die Verantwortlichen dort nicht zweimal in der Saison automatisch rund um die Spiele treffe. Ich denke, wir brauchen zwischen neun und elf Stimmen aus der zweiten Liga, und bin gespannt, ob wir die bekommen. Es wäre nicht gut, wenn sich nach diesem neuen Prozess, in dem die DFL sehr viel erklärt und gute Argumente präsentiert hat, wieder so viele Zweifel zeigen würden wie im Mai.
Was halten Sie von der Argumentation aus Freiburg und Köln, wo gesagt wird, dass es für den reinen Investitionsbedarf von 600 bis 700 Millionen Euro, die für die von allen 36 Klubs erwünschte Weiterentwicklung des Geschäftsmodells veranschlagt wurden, günstigere Finanzierungsmöglichkeiten gibt?
Ich kann den Argumenten von Freiburgs Geschäftsführer Oliver Leki folgen. Auch ich bin niemand, der sagt, man muss auf Teufel komm raus einen Vermarktungspartner ins Boot holen. Aber ich glaube, dass es schwierig wäre, die 600 bis 700 Millionen Euro selbst zu finanzieren, die wir brauchen. Für eine Binnenfinanzierung müssten alle Vereine in der ersten und zweiten Bundesliga für einige Jahre auf mehr als 10 Prozent der Einnahmen verzichten. Das würde sogar uns sehr hart treffen, obwohl wir wirtschaftlich sehr stabil sind.
Die Führung des 1. FC Köln, die gegen die Umsetzung des Projektes stimmen wird, schlägt andere Finanzierungswege vor: So könnte man den Namen der Bundesliga vermarkten, die dann – nur als fiktives Beispiel – Volkswagen-Bundesliga heißen könnte. Außerdem sei es möglich, zu erwartende Erlössteigerungen aus der Auslandsvermarktung zu verwenden.
Wir wären schon bereit, bei solchen Szenarien mitzudenken, es gibt aber ein Problem: Bis jetzt sehe ich keine Mehrheit von Klubs, die sagen: Wir wollen das so machen. Auch hier gäbe es Diskussionen. Und ein Liga-Partner alleine wird uns wirtschaftlich nicht weiterhelfen. Ich sehe eher weitere Argumente für die Zusammenarbeit mit einem Partner: Wir würden uns beispielsweise Expertise in den Liga-Verband holen, die wir zurzeit nicht haben.
Das ist immer wieder zu hören, klingt aber etwas abstrakt. Welche Expertise braucht die DFL, in der etliche Experten arbeiten?
Die Verantwortlichen bei der DFL wären gezwungen, sehr detailliert über Businesspläne zu diskutieren, denn es ist ja so: Wir alle als Vereinsvertreter sind vorrangig mit unseren eigenen Klubs beschäftigt. Die Zeit, die wir bräuchten, um wirklich inhaltlich mit der Geschäftsführung der DFL zu diskutieren, ist limitiert. Die Governance der Liga ist nicht einfach, ein Partner könnte hier unterstützend mitwirken. Wenn man einen Investor hat, der eine Milliarde reinbringt, wird dieser Geldgeber alles, was geplant wird, auf Herz und Nieren prüfen. Es würde ein positiver Druck auf die Geschäftsführung entstehen. Ein Druck im Übrigen, den die Geschäftsführer Merkel und Lenz selber begrüßen würden, so wie ich sie einschätze.