Der düstere Blick der Regisseurin
VON FRANK WEIFFEN, 11.07.08, 18:35h
Angelique Debois begibt sich in bewegten Bildern auf die Suche nach dem Gesicht der „Chemiestadt“ und zeigt dabei ein düsteres Leverkusen. Gedreht wird ab August.
Leverkusen - Es sind Sätze, die geheimnisvoll und bedrohlich klingen: „Die alten Zeiten sind vorbei.“ Oder: „Diese Stadt ist eine knurrende Bestie. Sie liegt da wie ein wildes Tier in Ketten, das nur darauf wartet, sich zu befreien.“ Dazu kommen diese schnellen Blenden: Bayerkreuz, Rheinbrücke, Rialto-Boulevard, Rathaus-Loch. Zu sehen sind dort Männer in Trenchcoats, Motorradfahrer in schwarzer Lederkluft, paffende Fabrikarbeiter. Die Regisseurin Angelique Debois zeichnet in ihrem Kurzfilm „Legenden“ ein düsteres und dreckiges Bild von Leverkusen. Bislang zwar nur auf dem Papier - gedreht wird ab August. Aber ein kurzer Blick ins bereits fertig geschriebene Drehbuch spricht Bände.
Vor fünf Jahren kam die junge Französin nach Köln und begann ihr Studium an der Kunsthochschule für Medien. In dieser Zeit lernte sie auch die Leverkusener Filmemacherin und Theaterautorin Petra Clemens kennen. Von ihr erfuhr Debois derart viel über die Nachbarstadt und deren vom ansässigen Chemiekonzern geprägtes Image, dass die 32-Jährige schließlich einen Film über Leverkusen drehen wollte. Mehr noch: „Legenden“ ist Debois' Diplomarbeit. Ein aus vielen kurzen Szenen zusammengeschnittener Experimentalfilm. Ohne klassischen Handlungsstrang - und somit ganz bestimmt kein kuscheliges Popcornkino.
Im Gegenteil: Wenn er fertig ist, dieser Streifen, wird er nur so strotzen vor Gesellschaftskritik und Wirtschaftsschelte. „Mein Film thematisiert ökonomischen Strukturwandel und De-Industrialisierung“, sagt Debois. Und wenn man diese sperrigen Fachbegriffe auf Leverkusen anwendet, dann wird schnell klar, um was es in „Legenden“ wirklich geht: „Es geht um eine Stadt, die ihr Gesicht verliert.“
Debois wuchs im Norden Frankreichs auf. Es ist eine Gegend, die seit Jahrhunderten von der Industrie geprägt wird - einer Industrie, die nach und nach abstirbt. Da lag Leverkusen nicht weit: „Leverkusen ist durch Bayer entstanden. Leverkusen ist durch Bayer weltbekannt. Und ausgerechnet Bayer zieht sich jetzt nach und nach aus der Stadt zurück“, weiß Debois. Das habe nach einer Verfilmung geschrien.
Und welches Filmgenre könnte besser passen als der klassische Western, um sich dieses Themas in Bildern anzunehmen? „Im Western geht es um Besiedlung, Landeroberung und die Gründung von Städten, die nach Jahren - wenn alles Ressourcen erschöpft und die Bewohner weitergezogen sind - zu Geisterstädten werden“, sagt die Französin. Das seien Dinge, die auch im Falle Leverkusens passten.
Debois - die schon immer ein Faible für Western hatte und in ihrem Leben weit über 100 Filme dieses Genres gesehen hat - bediente sich beim Schreiben des Drehbuchs denn auch fleißig an Sequenzen aus Westernklassikern. Eine der frühen Szenen des Films etwa spielt am S-Bahnhof „Mitte“ und soll in ihrer Wortkargheit und der extremen Fokussierung auf die Gesichter der Darsteller an die Anfangsszene in „Spiel mir das Lied vom Tod“ erinnern. Die steile Kamerafahrt in einer anderen Sequenz dagegen ist „High Noon“ mit Gary Cooper und Grace Kelly entliehen.
Die zu spielenden Rollen in „Legenden“ reichen vom grummeligen Bahnmitarbeiter über den nach Geld und Geltung gierenden „Bayermann“ bis hin zu den Figuren des egoistischen „Doc Holiday“ und seiner um Liebe und Zuneigung bettelnden „Kate“. Es sind Charaktere und Beziehungen, die ganz offensichtlich an die Leverkusener Konstellation „Konzern-Angestellter“ gemahnen. Die meisten Rollen sind bereits besetzt. Und wenn dem Filmthema gemäß schon komplett in Leverkusen gedreht wird (auf dem Bayergelände gab es laut Debois übrigens Filmverbot), dann soll möglichst auch der Großteil der Darsteller aus der Stadt stammen. „Das muss so sein“, sagt Debois. „Das ist einfach authentischer.“ Abgeklappert wurden bei der Schauspielersuche viele der hiesigen freien Theater, zu denen Petra Clemens als Mitglied des Jungen Theaters Opladen sehr gute Beziehungen pflegt. Auf Kostüme oder Schießereien indes verzichtet Debois vollkommen: „Das würde vom ernsten Thema des Films nur ablenken.“
Insgesamt 38 000 Euro muss die Studentin aufbringen, um ihr erstes richtig großes Filmprojekt zu stemmen. „Da kommt viel zusammen: Der Kameramann reist aus Berlin an, wir brauchen entsprechende Ausrüstung, müssen Recherche, Produktion und Post-Produktion zahlen - und nicht zuletzt müssen alle ja auch was essen.“ Diese Kosten würden jedoch komplett durch Fördergelder getragen.
Wenn der Film Ende August abgedreht ist, dann hofft Debois letztlich auf ihre Chance bei Filmfestivals, in Programmkinos, im Vorprogramm größerer Streifen. Dann könnte aus „Legenden“ vielleicht wirklich ein - zumindest lokaler - Filmklassiker werden. Auch die Leverkusener würd's wohl freuen.
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