VON FRANK NÄGELE, 13.07.08, 22:31h
Immer in Bewegung sein - Trainer Bruno Labbadia lebt bei Bayer 04 seine Philosophie vor. Labbadia betritt die dritte Spielklasse innerhalb von 14 Monaten und will den Werksklub zurück ins internationale Geschäft führen.
ABTWIL - Das Wetter im Appenzellerland ist mit einem Wort: beschissen. Immer neue Wände von Wasserwolken drängen sich an die voralpinen Hügelketten oberhalb St. Gallens. Wenn es nicht blitzt und donnert, regnet es wie aus Eimern. Licht ist Mangelware, und das Thermometer kauert beleidigt an der 15-Grad-Marke. Ein Mitteleuropäer will Mitte Juli woanders sein, außer er heißt Bruno Labbadia und ist Trainer des Bundesligisten Bayer 04 Leverkusen. Die frische, sauerstoffreiche Luft kommt seinen Plänen sehr entgegen: Fußballprofis scheuchen, antreiben, kommandieren, am liebsten dreimal pro Tag. Mit Pausen dazwischen, die vor allem Drohungen sind neuer Anstrengung. „Wenn man so trainiert, ist es gut, wenn es nicht so heiß ist“, sagt Labbadia zwischen zwei Einheiten im St. Gallener Vorort Abtwil, „das Wichtigste ist, dass sich der Platz in einem Top-Zustand befindet.“
Das lässt sich von seinen Spielern jetzt nicht mehr sagen. Aber so soll es auch sein. Der Mann ist nach Leverkusen gekommen, um das zuletzt am eigenen Anspruch gescheiterte Team der Hoffnungsvollen zurück in die Spur zu bringen. Und er tut das mit demselben Engagement, das er von seinen Spielern verlangt. Keine Sekunde verharrt der ehemalige Torjäger (Darmstadt, Kaiserslautern, Bayern, Köln, Bremen) auf demselben Fleck. Es sind so viele Dinge zu tun, vor allem, wenn sich Mannschaftsteile beim taktischen Training unvorschriftsmäßig in ihre Bestandteile auflösen. Labbadia kritisiert, unterbricht, macht vor. „Wir haben ein großes Ziel, wir wollen zurück auf die internationalen Plätze“, erklärt er, „aber wir haben nicht viel Zeit, die Mannschaft ist jung, und wir sind nicht gerade überall doppelt besetzt. Es wird nur gelingen, wenn alles hundert Prozent passt.“
Immerhin hat er nach drei Wochen Arbeit mit einem Rumpfteam („manchmal waren nur fünf Stammspieler da“) alle seine Wichtigen um sich. Mit drei Ausnahmen: Die Nationalspieler René Adler und Simon Rolfes haben Urlaub bis nach dem Trainingslager. Und Renato Augusto aus Brasilien, den sie für ein Juwel halten in Südamerika, wird erst am Mittwoch bei seinem neuen Arbeitgeber erscheinen.
Labbadia bemüht sich, die Erwartungen an den offensiven Mittelfeldspieler nicht ins Unermessliche wachsen zu lassen. Deshalb sagt er lapidar: „Renato Augusto ist ähnlich wie Constant Djakpa ein sehr junger Spieler mit großen Potenzial, der zu unserer Art Fußball passt.“ Aggressiv und dominant soll diese Art sein. Labbadias Ideen sind jene, die derzeit offensichtlich in aller Munde scheinen. Geschlossen und leidenschaftlich arbeiten „gegen“ den Ball - blitzschnell, präzise, inspiriert und risikofreudig, sobald man ihn hat. Und das alles bei permanenter Bewegung jedes Spielers. „Diese Grundsätze sind entscheidend, am Ende sogar wichtiger als die Frage, mit welchem System wir spielen“, verrät Labbadia, „wobei ich klar sagen muss, dass ich das Spiel mit zwei Stürmern bevorzuge, weil es offensiver ist, allerdings eben auch riskanter, weil man mit zwei defensiven Mittelfeldspielern die Mitte leichter zu bekommt.“
Rudi Völler, der mit Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser und Manager Michael Reschke am Samstag in der Schweiz ankam, ist mit solchen Worten allein nicht zu beeindrucken. Er muss da schon mehr gefühlt haben. „Bei Bruno spürt man in jeder Sekunde, dass er seinen Job und seine Philosophie lebt, das ist alles echt, nicht nur so dahergesagt“, meint der Sportchef, der auf Fußball-Scharlatanerie aller Art bekanntermaßen hochgradig allergisch reagiert.
Labbadia betritt die dritte Spielklasse innerhalb von 14 Monaten. Doch er versichert, die Arbeit bei Bayer 04 unterscheide sich im Prinzip nicht von der in Darmstadt (Regionalliga) oder Fürth (Zweite Liga). „Es ist ganz genau dasselbe, auch wenn die Qualität der Einzelspieler natürlich höher ist, aber dafür ist die Qualität der Gegner eben auch höher. Hier in Leverkusen hast du halt einen Catering-Service, in Darmstadt sind wir mittags zum Italiener über die Straße, aber das ist auch schon alles.“