Neues Kollektiv
Moskau - Boris Gromow war einmal ein berühmter Letzter. Fast 20 Jahre ist es her, als die Bilder von ihm aus einer unwirtlichen Gegend in Zentralasien um die Welt gingen. Damals war Gromow ein hochdekorierter sowjetischer General, bei Termes ging er zu Fuß über die Brücke und dann war Schluss mit der Besatzung. Gromow war der letzte sowjetische Soldat, der Afghanistan verließ. Jetzt ist Gromow Gouverneur des Moskauer Gebiets, und diesmal ist er der Erste. Keiner vor ihm hat aus der Finanzkrise des Landes eine derart tiefgreifende Konsequenz für die höchste russische Fußball-Liga gezogen wie er. Gromows Behörde erklärte zum Erstaunen von Fans, Spielern und Funktionären, wegen Geldmangels aus zwei Moskauer Erstliga-Klubs einen zu machen. Chimki und Saturn Ramenskoje müssen "wegen der schwierigen finanziellen Situation ihre Anstrengungen künftig kombinieren", wie es so schön verschwurbelt heißt.
Anfang dieser Woche hatte das Moskauer Gebiet seinen Haushalt für das nächste Jahr gebilligt, und darin werden 29 Millionen Dollar gespart, die bisher ins regionale Sportkomitee fließen, das die beiden Moskauer Vorortvereine unterhält. Der neue Klub soll weiter unter dem Namen Saturn spielen, seine Heimspiele aber künftig abwechselnd in Chimki und Ramenskoje austragen. Fest steht offenbar, dass der deutsche Saturn-Trainer Jürgen Röber, der am Mittwoch für eine Stellungnahme nicht erreichbar war, auch den neuen Klub leiten wird. Sonst aber bleiben derzeit alle Fragen offen.
Der Generaldirektor von Saturn, Boris Schiganow, sagte lediglich, dass "die praktische Arbeit an der Vereinigung" bereits laufe. Der Chef der russischen Premier-Liga dagegen kann das alles noch nicht so recht fassen. "Das glaube ich nicht. Beide Vereine haben einen unterschiedlichen Rechtsstatus, FK Chimki ist ein städtischer Verein, Saturn eine Aktiengesellschaft." Und was wird aus den Spielern, die gültige Verträge haben? Wird Röber nun aus einem verdoppelten Reservoir schöpfen können und erfolgreicher sein als zuletzt mit Platz elf? Fraglich auch das, denn Chimki wäre fast abgestiegen. Jegor Titow, der bekannteste Spieler bei Chimki, sagte lakonisch: "Das ist eine Überraschung. Aber wenn es nun so kommt, werde ich eben für das neue Kollektiv spielen. Ich habe ja schließlich einen Vertrag."
Es soll etwas zusammenwachsen, was nicht zusammengehört. Chimki liegt im Nordwesten Moskaus, während Saturn etwa 30 Kilometer südöstlich der Hauptstadt liegt. Diese Distanz ließe sich trotz des gefürchteten Moskauer Verkehrs vielleicht noch überwinden, doch die Fans beider Klubs mögen einander nicht. In einem offenen Brief an Gouverneur Gromow und Sportminister Vitalij Mutkow drängen die Chimki-Anhänger deshalb zu einem Verzicht der Fusionspläne.
Ex-General Gromow aber dürfte damit kaum zu erweichen sein. Auf beiden Seiten fehlt nun einmal das Geld. Saturn müsste nach der Rechnung der Zeitung Nowyje Iswestija ohne die Fusion mit einem Drittel des bisherigen Budgets auskommen; keine gute Aussicht wäre das für den angestrebten Platz im Uefa-Pokal. Es sei denn, der nationalen Konkurrenz erginge es ähnlich. Der weltweit bedeutende Metallhersteller Norilsk Nickel, Hauptsponsor des Erstligavereins FK Moskau, kündigte am Montag an, sein Engagement im Sponsoring zu verringern. Und der Ölkonzern Lukoil, wichtigster Finanzier von Spartak Moskau, der von Michael Laudrup trainiert wird, denkt darüber nach. Für die russischen Klubs wäre das ein Desaster, denn die Einnahmen aus verkauften Tickets sind bei einem Preis von etwa 140 Euro für eine Dauerkarte und niedrigen Zuschauerzahlen ziemlich überschaubar. Wie ernst die Finanznot im russischen Fußball ist, zeigt auch eine Meldung von Interfax. Demnach haben Nationaltrainer Guus Hiddink und sein Team in den vergangenen drei Monaten ihr Gehalt nicht rechtzeitig erhalten. Fünf Millionen Dollar müssen noch beglichen werden, eine große Summe in Zeiten der Krise. Aber eine kleine für Roman Abramowitsch. Er soll nun helfen. Frank Nienhuysen
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