SCHNEIDERS EM-ANALYSE
Lehmann bleibt Erster, Metzelder kommt hoffentlich in Form
Torwart Jens Lehmann patzte zuletzt, ebenso Abwehrspieler Christoph Metzelder. Kolumnist Bernd Schneider glaubt nicht an eine dauerhafte Krise, sondern setzt auf eine Leistungssteigerung. Trost gibt es für den ausgemusterten Dribbler Marko Marin.
Wenn mir jemand vor ein paar Monaten gesagt hätte, dass ich diese Europameisterschaft wegen der langen Heilungsphase nach meinem Bandscheibenvorfall an der Halswirbelsäule nur als erfahrener Hase von außen betrachten darf, hätte ich das wahrscheinlich nicht geglaubt.
Es ist einfach ein so wunderschönes Gefühl, für das eigene Land bei einem so großen Turnier aufzulaufen. Deshalb hat es ganz schön wehgetan, die endgültige Diagnose zu erfahren. Aber ich habe mich damit abgefunden.
Es wäre ja nicht meine erste Europameisterschaft gewesen, deshalb ist es nicht ganz so schlimm. Mit einer überstürzten Teilnahme hätte ich meine restliche Karriere gefährdet, das wäre es nicht wert gewesen.
Aber auch wenn Michael Ballack jetzt auf meine Flanken verzichten muss, bin ich davon überzeugt, dass diese deutsche Mannschaft gute Chancen hat, den Europameisterschafts-Titel zu gewinnen. Weil Bundestrainer Joachim Löw eine wirklich gute Mischung aus erfahrenen Kräften und hungrigen Nachwuchsspielern zusammengestellt hat.
Ich war übrigens von Anfang an von der Entscheidung begeistert, 26 Spieler zu nominieren. Zum einen wegen des Konkurrenzkampfes, der dadurch entstand, dass drei Spieler wieder nach Hause fahren mussten. Aber es gibt noch einen anderen wichtigen Grund. Ich habe selbst erlebt, welche Schwierigkeiten entstehen können, wenn sich noch ein Spieler kurz vor dem Turnier verletzt. Wie beim Confed-Cup 2005, als es Miroslav Klose erwischte.
Für ein so schweres Turnier ist es ungemein wichtig, fit zu sein, um vier Wochen durchspielen zu können. Da müssen alle Spieler ehrlich und selbstkritisch sein. Sobald einer wegen einer schweren Verletzung ausfallen sollte, kann der nächste hundertprozentig fit einspringen. Man braucht dieses Sicherheitsgefühl für die perfekte Planung.
Klar kann ich mir vorstellen, dass die drei Spieler, die wieder nach Hause fahren mussten, ganz schön enttäuscht waren, als sie von der Entscheidung erfahren haben. Es ist doch menschlich, dass man die ersten Tage einfach nur verärgert und traurig ist. Wäre schlimm, wenn man das nicht so empfinden würde. Aber auch Marko Marin, der wie Patrick Helmes und Jermaine Jones nicht bei der EM ist, wird darüber hinwegkommen. Er ist so jung und hat doch seine ganze Karriere noch vor sich.
Ich glaube nicht, dass man Marko Marin diese Erfahrung hätte ersparen müssen. Mit seinem ersten Spiel gegen Weißrussland hat er schon einen kleinen Sprung in die Nationalmannschaft geschafft. Ganz Deutschland diskutiert über ihn, und ich bin mir sicher, dass er in den nächsten Jahren zum festen Kreis gehören wird.
Apropos Phasen. Ich finde diese Diskussionen über die Qualität Jens Lehmanns überflüssig. Natürlich bleibt Jens an erster Position. Die Abwehr hat sich innerhalb der letzten Jahre mit ihm eingespielt, die Abstimmung passt. Jens ist fit, deshalb gibt es gar keinen Grund, ihn aus dem Tor zu nehmen. Auch nicht, dass er nur wenige Spiele für Arsenal gemacht hat. Was zählt, ist doch die aktuelle Stärke.
So kurz vor dem Beginn der EM ist es viel wichtiger, den Spielern durch eine konsequente Linie, durch Vertrauen, das nötige Gefühl der Sicherheit zu geben. Das macht das Trainerteam. Die Diskussionen um die Abstimmung innerhalb der Abwehr kann man gar nicht vermeiden vor einem Turnier. Sobald ein Gegentreffer fällt, ist die Abwehr schuld. So war es ja auch vor der WM 2006.
Ich hoffe, dass Christoph Metzelder, der bei dem Führungstreffer der Serben nicht perfekt stand, noch zu seiner Form finden wird - obwohl Christoph bei Madrid selten zum Einsatz kam. Er hat bei der WM 2002 und 2006 bewiesen, dass er sich vor wichtigen Turnieren pushen kann. Christoph ist ein Turnierspieler. Er kennt seinen Körper durch seine jahrelange Erfahrung.
Haben Sie gesehen, wie Michael Ballack auch in den zwei, drei Durchhängephasen im Spiel gegen Serbien die Mannschaft aufgewirbelt hat? Es ist verdammt wichtig, als Spieler einen solchen Motivator neben dir zu haben. Michael ist Antreiber und Torgarant zugleich. Unser entscheidender Vorteil gegenüber allen anderen Mannschaften.
Es ist ganz normal und überhaupt kein Grund zur Sorge, dass auch gegen Serbien noch die letzte Spritzigkeit innerhalb der Mannschaft fehlte. In den nächsten Tagen wird Joachim Löw im Trainingslager in der Schweiz hauptsächlich die Taktik und Standards trainieren, so dass gegen Polen eine perfekt vorbereitete Mannschaft auf dem Platz stehen wird. Da habe ich keine Zweifel.
Ich werde zum zweiten Vorrundenspiel gegen Kroatien (12. Juni) zur Mannschaft stoßen und sie bis zum dritten Spiel (gegen Österreich am 16. Juni) begleiten. Der Trainer hat gesagt, dass er sich freut, wenn ich für ein paar Tage dabei bin.
Wissen Sie, ich bin der letzte, der sich einmischen möchte. Aber wer weiß, vielleicht kann ich trotzdem mit meiner Erfahrung ein paar Tipps geben und zum Erfolg beitragen.
Bernd Schneider sollte eigentlich für die deutsche Nationalmannschaft bei der EM 2008 am Ball sein. Ein Bandscheibenvorfall verhindert seinen Einsatz. Exklusiv für SPIEGEL ONLINE analysiert der 34- jährige Mittelfeldspieler von Bayer Leverkusen das Geschehen während der Fußball- EM in Österreich und der Schweiz (7. bis 29. Juni).