Für diejenigen, die es wohl gerne hätten, dass ich ein wenig von meiner in ihren Augen unangebrachten Haltung abrücke und wengistens eine Art von Mitgefühl zum Ausdruck bringe, habe ich schlechte Nachrichten. Ich sehe meinen Standpunkt gestärkt, denn er ist im Gegensatz zu so manch sozial-anbiederndem Gehabe wenigstens aufrichtig und konsequent.
Ich kann nicht wissen, wer in eurem Freundes- und Bekanntenkreis von den Bayer-Entlassungen betroffen ist. Oder inwieweit ihr um euren eigenen Arbeitsplatz bangt. Ich kann euch nur sagen, was in meinem Freundes- und Bekanntenkreis los ist.
Einer meiner besten Freunde wurde bereits vor mehr als 10 Jahren, im Laufe der damaligen ersten großen Bayer-Schlankheitskur, davon betroffen. Er arbeitete jahrelang als Werksstudent in allen Schichten die sonst keiner übernehmen wollte. Eines Tages sprach sein Vorgesetzter in der Chefetage der Personalabteilung vor, denn er wollte meinen Freund gern in Festanstellung übernommen wissen, weil die Personaldecke in seinem Betrieb arg dünn geworden war. Das Ansinnen wurde von der Personalabteilung mit den Worten abgeschmettert: "Ihr erwünschter Mitarbeiter passt nicht in das Schema unserer neuen Unternehmensphilosophie." Mein Freund bekam nicht nur die in Aussicht gestellte Festanstellung nicht, sondern war umgehend auch seinen Job als Werksstudent los. Wie er auf die Firma Bayer zu sprechen ist, brauche ich wohl nicht näher zu beschreiben. Er hat in den letzten 10 Jahren, weil ihm nichts anderes übrig blieb, so ziemlich jede Arbeit angenommen die Geld einbringt. Saturn, Hermes Versand, Taxi, Nachtfahrten mit Medikamentenlieferungen.
Warum ich mich trotzdem dagegen sträube, die Wut über die Zustände in unserem Land vor Ort an der Bayer AG festzumachen, liegt in weiteren Fällen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis begründet, die genau so betroffen sind, aber nichts mit Bayer zu tun haben. Eine meiner Nichten wurde jüngst im Rahmen von Einsparmaßnahmen bei der FordBank in Köln "abgewickelt" und hat bislang nur eine befristete Halbtagsstelle als Ersatz. Schon in den Jahren zuvor wurden im Bekanntenkreis Ford-Mitarbeiter ihren Job los. Wird die Ford AG deswegen zum Sündenbock gestempelt? Wo sind die Transparente, die den Arbeitsplatzabbau bei Ford anprangern?
Ein guter Bekannter war in der ICE-Fertigung im Opladener Bahnwerk beschäftigt. Er ist zwar noch bei der Bahn, ist aber nach einem Jahr im Werk Halle und einem weiteren Jahr im Werk Paderborn inzwischen zum dritten mal umgezogen und inzwischen am Niederrhein gelandet. Aber viele Kollegen von ihm sind arbeitslos geworden. Wird die Bahn AG deswegen an den Pranger gestellt? Wo sind die Protestbanner bei den Hertha-Spielen, deren Sponsor schließlich die Bahn ist?
Ein weiterer guter Bekannter ist ein paar Jährchen älter als ich, und wurde vor kurzem seinen Job bei Agfa Gevaert quitt. Mit Mitte 50 war's das wohl für ihn, das weiß er, und das wissen wir auch. Ist Agfa deswegen ein Buhmann in der Region, um den noch viel Aufhebens gemacht würde?
Um alle diese Menschen (und noch mehr als diese), die mir am Herzen liegen und von denen ich euch hier erzählt habe, wird kein Aufhebens gemacht. Für sie gibt es keine Aktionen im Stadion, keine Protestmärsche oder was auch immer. Ihr Schicksal interessiert keine Sau, da müssen sie allein mit klar kommen. Keiner von euch, die ihr euch bei eurem Bayer so schön in eurem eigenen Saft schmort, wird für diese Menschen irgendeinen Beitrag zu deren Problembewältigung leisten. Das ist noch nicht einmal ein Vorwurf, denn wie solltet ihr auch.
Aber genau das ist es was mich an der Bayer-Hysterie nervt. Die von Entlassungen Betroffenen oder Bedrohten tun gerade so, als sei ihr Existenzkampf etwas besonderes, dem auch besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden müsse. Da kann ich euch nur sagen: wir haben in der Familie, im Freundes- und Bekanntenkreis verdammt genug Menschen mit ähnlichen Sorgen wie den euren. Nur nöhlen die nicht halb so viel, und vor allem nicht halb so laut wie ihr. Seht selbst zu wie ihr mit der Situation klarkommt. Wir haben mit unseren eigenen Sorgen weiß Gott genug am Hals, da ist kein Platz mehr für euch.
Wer es bis heute immer noch nicht mitbekommen hat, dass inzwischen die meisten Menschen in unserem Land mit massiven Existenzproblemen zu kämpfen haben; und immer noch glaubt, sein eigenes Schicksal sei aber besonders bemitleidenswert, der hat wirklich den Knall nicht gehört.