Bereits als Fußballmanager von Bayer Leverkusen sprach er nicht nur über den Sport. Zu seinem 60. Geburtstag erzählt er immer noch gern:
Über Triumphe, Freunde und seine Rolle als Dicker vom Dienst. Bei WELT ONLINE erklärt er auch, warum es ihm so schwer fällt, mal den Mund zu halten.
Einen Rentner kann man ihn nicht nennen: Obwohl sich Reiner Calmund 2004 als Manager von Bayer Leverkusen aus dem Fußballgeschäft zurückzog, ist er überall präsent. Er arbeitet als Juror in der "Kocharena" bei Vox, analysiert im Internet bei Calli.tv die Bundesliga, sammelt Geld für wohltätige Zwecke. Der studierte Betriebswirt, der mit Bayer den Uefa-Cup und den DFB-Pokal gewann und dreimal Vizemeister wurde, kann auch mit 60 Jahren nicht aufhören. Und will jetzt endlich abnehmen.
WELT ONLINE: Herr Calmund, was ist heute, mit 60, schöner – ein Sieg Ihres alten Vereins Bayer Leverkusen oder ein ordentliches Essen?
Calmund: Bis heute der Sieg. Ich hab' schon öfter gut gegessen als Fußballspiele gewonnen. Einen Restaurantbesuch kann ich planen. Da gibt's selten Überraschungen. Fußball, da kann alles passieren. Das haben wir mit Bayer Leverkusen 2002 in der Champions League bewiesen. Arsenal, Juventus Turin, FC Liverpool, Manchester United - wir haben sie alle hinter uns gelassen.
WELT ONLINE: Okay, wir werden sicher noch genug über Fußball reden. Aber was ist denn Ihr Leibgericht?
Calmund: Hm, ich bin ein Schleckermäulchen und Stressfresser – und habe bei der letzten EM die österreichische Küche in vollen Zügen genossen. Ob das nun der Jungschweinkrustenbraten mit Knödeln war oder hinterher der Kaiserschmarren. Mit dem Finale habe ich die Schallmauer durchbrochen und hatte am Ende 163,7 Kilo. Ich mache keinen Hehl daraus, dass mein Körperumfang nichts mit irgendwelchen Gendefekten oder Drüsenkrankheiten zu tun hat.
WELT ONLINE: Sie sind 1,75 Meter groß, oder?
Calmund: Stimmt. In den letzten drei Monaten habe ich 22,6 Kilo abgenommen. Ich mache Trennkost und bewege mich unter Anleitung von Joey Kelly, mit dem ich das Projekt "Ironcalli" gestartet habe. Heute Morgen ein bisschen Rührei mit etwas Lachs dabei, aber meist sind's Kohlenhydrate zum Frühstück, also Müsli mit Obst. Na ja, abends als Gesellschaftsesser – das ist ja Kultur: Quatschen, Essen. Aber eben darauf achten, was auf den Tisch kommt. Knäckebrot und Körner, das ist abends undenkbar.
WELT ONLINE: Keine Spaghetti all' amatriciana mehr, wie sie Rudi Völlers Frau Sabrina so gut kocht?
Calmund: Doch, die darf ich. Spaghetti mit Meeresfrüchten etwa sind verboten, aber der Speck mit Zwiebeln, Knoblauch und Olivenöl in der Tomatensoße ist bei Amatriciana so fett, dass das in die Gruppe der neutralen Lebensmittel fällt. Hört sich blöd an, ist aber so.
WELT ONLINE: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie als Kind eine Fresskur machen mussten, weil Sie zu dünn waren.
Calmund: Die Krankenkasse hatte festgestellt, dass ich unterernährt war. Waren auch harte Zeiten. Dann gab's sechs Wochen Haferbrei und Spazierengehen in Iversheim bei Münstereifel.
WELT ONLINE: Ganz ehrlich: Wie fühlt es sich an, in einer von Fitness dominierten Branche wie dem Berufsfußball der Dicke vom Dienst zu sein?
Calmund: Mein Job war Verhandeln und Telefonieren, nicht das Langlaufen oder Sprinten. Ich musste nicht auf den Platz, sondern pfiffig sein, und das war ich. Jetzt bin ich 60 – dick, aber beweglich und ausdauernd.
WELT ONLINE: Wie wäre es, kürzerzutreten?
Calmund: Sicher, ich muss es sogar. Aber immerhin ist der Druck weg. Früher war ich darauf angewiesen, dass ein Typ in kurzen Hosen den Ball zwischen die Balken schießt. Daher habe ich mich ab 2004 auch gern zurückgezogen.
WELT ONLINE: In Ihrem Buch stehen neben lustigen Anekdoten, für die Sie bekannt sind, auch Worte wie "Kampf" und "Überleben". Wie passt das zusammen?
Calmund: Nehmen wir meine Mutter. Die Frau kam von ganz unten, hatte nichts und brachte mir bei, dass man für alles im Leben hart arbeiten muss. Meine Familie wurde früh von Brühl nach Frechen umgesiedelt, weil uns in Brühl der Boden unter den Füßen weggebaggert wurde. Wir lebten damals quasi auf der Braunkohle. Für mich war das ein Kulturschock. Da musste ich kämpfen. Dann mein Vater, der als Fremdenlegionär in Vietnam auf tragische Art ums Leben kam. Meine geliebten Großeltern sind innerhalb von vier Tagen gestorben.
WELT ONLINE: Das Buch atmet viel vom Geist der 50er-Jahre: Kameradschaft, Einsatz. Kommt man im Fußballgeschäft mit diesen Idealen heute noch durch?
Calmund: Moment, ich werde mit 60 Jahren nicht den zornigen Opa geben, der sagt, dass früher alles besser war. Für manche Aktionen, die wir uns geleistet haben, würde man heute vor die Tür gesetzt.
WELT ONLINE: Erzählen Sie mal!
Calmund: Nehmen wir das Jahr 1996, letzter Spieltag, Leverkusen gegen Kaiserslautern, wenn Kaiserslautern gewinnt, steigen wir ab. Unser Stadion war eine Baustelle, und ich wusste: Lassen wir den Gästeblock offen, kommen mehr Lautern- als Leverkusen-Fans. Hab' ich also zu einem befreundeten Bauunternehmer gesagt: "Reiß mir mit deinem Bagger bis Samstag den Gästeblock ab. Die dürfen keine Karten bekommen." Hat er gemacht. Alles ohne Genehmigung. Wir spielten unentschieden, blieben drin – das war natürlich völlig bekloppt, aber die Situation war ja auch bekloppt. Hinterher haben mir alle auf die Schulter gehauen. Hätten wir verloren, hätte man mich für größenwahnsinnig erklärt. So holten wir Christoph Daum und waren ein Jahr später Vizemeister.
WELT ONLINE: Und die Fußballer, haben die sich verändert?
Calmund: Ich sag' mal so: Früher hatten die Spielerfrauen Angst, dass ihnen die Jungs im Trainingslager stiften gehen, heute haben die Spieler Angst, dass ihnen die Frauen ausbüxen. Reicht das?
WELT ONLINE: Kann man in einer Branche wie dem Fußball Freunde haben?
Calmund: Ja. Erstaunlich, nicht? Gerade als die Staatsanwaltschaft wegen der angeblichen Untreue gegen mich ermittelte, haben viele zu mir gestanden.
WELT ONLINE: Was bereuen Sie?
Calmund: Nichts. Das, was ich an Blödsinn angestellt habe, würde ich heute nicht mehr machen. Mit Daum habe ich mich nach der Kokainaffäre ausgesöhnt. Ich wäre meinen Kindern gern ein besserer Vater gewesen. Ich hatte kaum Zeit für sie. So ist das eben, wenn man was erreichen will, muss man viel arbeiten. Zum Glück hat mich meine dritte Ehefrau stark in Richtung Familie beeinflusst, sie achtet darauf, dass wir viel zusammen unternehmen.
WELT ONLINE: Was, glauben Sie, fasziniert Frauen an Ihnen?
Calmund: Ich bin ja nicht blind, wenn ich mit meiner Frau ins Restaurant gehe, dann sehe ich auch, dass da um mich rum ein paar Jungs vom Typ junger Adonis mit Föhnfrisur sitzen. Das Blöde ist nur: Nach fünf Minuten fällt denen außer "Na, schmeckt's denn, Darling?" nichts mehr ein. Kann meiner Frau bei mir nicht passieren. Mit mir kann man immer quatschen.
WELT ONLINE: Haben Sie eine Erklärung, warum Sie ununterbrochen reden?
Calmund: Keine umfassende. Ich bin schon mit vier Jahren mit meinem blinden Großvater jeden Tag spazieren gegangen und habe ihm alles erklärt, was ich gesehen habe. Da muss es angefangen haben.
WELT ONLINE: Sie sind in Ihrer Karriere sehr häufig Zweiter geworden. Nagt das immer noch an Ihnen?
Calmund: Ja. Das hört nie auf. Meistens tröste ich mich mit den Erfolgen: Pokalsieger, Uefa-Pokalsieger und all diese großen Transfers: Völler, Kirsten, Schuster. Aber ein Rest Schmerz ist immer da.
WELT ONLINE: Bleibt die Frage: Was macht das Abnehmen für Sie so furchtbar schwer?
Calmund: Ich verspreche, dieses Mal klappt es. Ich nehme ja öffentlich ab mit eigener Website Ironcalli.de, und "Stern TV" begleitet mich. Und ich mache es für meine Familie. Klar, ich bin gesund, aber ich kenne die Risiken meines Übergewichts. Mit 60 kann's da furchtbar einschlagen.
WELT ONLINE: Haben Sie schon über Ihr letztes Mahl nachgedacht?
Calmund: Wenn einer sagen würde: "Heute musst du sterben!" – dächte ich sicher nicht ans Essen. Ich würde meine Familie und meine besten Freunde um mich versammeln und leise Abschied nehmen.
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