Von Christoph Ruf und Mike Glindmeier
Aufstand der Fußballfans: Die DFL plant neue Anstoßzeiten einzuführen - und sorgt damit an der Basis für Unmut. Vor allem Anhänger der Zweitligavereine laufen Sturm gegen diese Idee.
Die Rituale sind bekannt: Wann immer DFB oder DFL eine Neuerung beschließen, finden sich Fans, die die große Verbalkeule auspacken: Dann wird geschimpft auf die endgültige Kommerzialisierung des Sports und den völligen Ausverkauf der Fan-Interessen. Doch Breitenwirkung haben die Proteste in den vergangenen Jahren nie entwickelt. Stattdessen steigen Zuschauerzahlen und Vermarktungserlöse Jahr für Jahr - der in jeder Hinsicht engagierte Teil der Fan-Szene spricht eben nur selten für die Fans, die Fußball primär am Fernseher verfolgen. Und offenbar ganz oft nur für einen Bruchteil der Stadionbesucher.
Genau das scheint jetzt anders zu sein. 150 Fanclubs von 28 Vereinen der Ersten und Zweiten Liga haben sich in eine Unterschriftenliste eingetragen, die unter dem Motto "Kein Kick vor Zwei" gegen die von der DFL beschlossene Neuregelung der Anstoßzeiten zur Spielzeit 2009/2010 richtet.
Initiator Sebastian Elbe freut sich "jeden Morgen über 30 bis 40 weitere Fanclubs, die sich solidarisch zeigen. Wenn erst einmal 1000 Fanclubs unterschrieben haben, kommt auch die DFL nicht mehr umhin, uns ernst zu nehmen." Dass sie das bisher nicht tut, hat für Elbe einen einfachen Grund: "Wahrscheinlich sind die Erstligavertreter bei der DFL einfach durchsetzungsstärker."
In der Tat kommen auf die Fans von Erstligavereinen nicht annähernd so gravierende Änderungen zu wie auf die Zweitligaanhänger. Die Partien im Unterhaus sollen künftig in der Regel sonntags um 12.30 Uhr angepfiffen werden, eine Partie beginnt dann samstags um 13.30 Uhr, achtmal pro Saison ist ein Freitagabendspiel um 20.30 Uhr eingeplant. Deutlich weniger gravierend sind die Umstellungen in der Bundesliga, wo es in der Regel beim gewohnten Samstagstermin um 15.30 Uhr bleibt. Achtmal pro Saison soll eine Partie am Samstagabend um halb neun stattfinden, zwei Sonntagspartien beginnen um 14.45 Uhr, eine weitere um 17 Uhr.
10.000 Unterschriften gesammelt
Auch ein ursprünglich von Anhängern des FC St. Pauli initiierter offener Brief wurde bislang von fast 10.000 Fans unterzeichnet, "und zwar quer durch alle Vereine und alle Ligen", so Mitinitiator Marcus Reinhardt, der in Berlin wohnt und "keine Lust verspürt, Sonntagmorgens um sieben Uhr loszufahren", um zu einem Heimspiel seines Teams zu reisen. Geplant sind nun bundesweite Aktionen in den Stadien. Und die könnten durchaus eine Breitenwirkung entfalten, die Fan-Proteste in Deutschland schon lange nicht mehr erzielen konnten: "Mit diesen Anstoßzeiten kann man sich nicht anfreunden. Das Thema interessiert selbst Leute, die nur zweimal in der Saison ins Stadion gehen," hat Reinhardt festgestellt.
Auch Philipp Markhardt, Sprecher der bundesweiten Fan-Organisation "Pro Fans" sieht hinter den Plänen der DFL "einen Vermarktungswahn, der auf Kosten der Zweitligisten, der Amateure und ihrer Fans geht". Offenbar sei es "der DFL vollkommen egal, was die aktive Fan-Szene möchte."
Zwar gab es im Vorfeld einige Gespräche zwischen Fan-Vertretern und DFL-Gesandten, doch die scheinen eher den Charakter reiner Goodwill-Termine gehabt zu haben, wie Wilko Zicht vom "Bündnis Aktiver Fußball Fans - BAFF" sekundiert, der an einigen davon teilgenommen hat. "Es wurde überhaupt nicht ausgelotet, was wir noch vertretbar fänden. Eventuell hätte man ja zusammen einen Kompromiss gefunden." So aber stehe für ihn "der Dialog mit der DFL grundsätzlich in Frage. Er hat ja hier nicht allzu viel gebracht."
Doch nicht nur Fan-Vertreter, auch viele Amateurvereine rebellieren. Der Sonntag, traditionell Spieltag unterklassiger Vereine, ist sowieso schon ausgehöhlt, seit dort neben Begegnungen der Zweiten Liga auch zwei (demnächst drei) Bundesligaspiele stattfinden. Nun müssen sich auch viele Fans entscheiden, ob sie morgens selbst für ihren Verein spielen, oder sich zum Stadionbesuch rüsten wollen. Karsten Marschner, Geschäftsführer des Hamburger Fußball-Verband HFV, äußert sich diplomatisch: "Wir sind natürlich nicht glücklich mit Anstoßzeiten wie dem Sonntag um 12.30 Uhr. Wir gehen aber davon aus, dass sich der DFB als unser Interessenvertreter entsprechend positionieren wird."
Viele Fans, die ihren Ärger auf die Fernsehsender projizieren, dürfte auch überraschen, dass Premiere-Sportchef Carsten Schmidt sich ebenfalls äußerst skeptisch äußert: "Die Zerstückelung des Spieltages in diesem Maße ist allein die Verantwortung der Vermarkter. Wir hätten mit der jetzigen Spieltagsgestaltung hervorragend leben können. Wenn man den Spielplan ändert, hätten wir uns eine Lösung gewünscht, von der insgesamt der deutsche Fußball und die Fans profitieren." Allenfalls ein drittes Spiel am Sonntagnachmittag hätte man bei Premiere befürwortet, so Schmidt, "um die Uefa-Cup-Teilnehmer zu entlasten. Wir halten nichts von Live-Spielen am Samstagabend und Sonntagmittag. Das ist die Zeit für die Familien."
Bier, Bratwurst und Flutlicht
In wessen Interesse liegt also die Reform? In dem der Zweitligavereine, heißt es bei der DFL. Man müsse zwischen den Zweitligisten und deren Fans unterscheiden, so Andreas Rettig, DFL-Vorstandsmitglied und Manager des Zweitligisten FC Augsburg. Den Clubs nutze die Reform, während sich die Fans in "Leute mit guten Argumenten" und solche "die aus Prinzip gegen alles Neue sind" unterteilten: "Sind die Protestierer die gleichen Fans, die damals auch gegen 14 Uhr als Anstoßzeitpunkt rebelliert haben?"
Auch Rettig will jedoch nicht in Abrede stellen, dass es einen Zielkonflikt zwischen den Bedürfnissen der Fernsehzuschauer und denen der Stadiongänger gebe. Vor allem der Freitagabend ("ein paar Becher Bier, Bratwurst und Flutlicht, das ist auch eine gute Zeit für Fans") und das Samstagsspiel seien unter "Vermarktungsoptimierungsaspekten" wertvolle Sendeplätze, die gut zu vermarkten seien. Es scheint, als sei die Zweite Liga auch deshalb in die Pflicht genommen worden, weil sie aus dem Fernsehtopf "vielleicht mehr Geld bekommt, als sie wohl erwirtschaften könnte, wenn sie sich selbst vermarkten würde", wie Rettig ausführt.
Vielleicht findet sich auch deshalb weit und breit kein Funktionär eines Zweitligisten, der die neuen Anstoßzeiten zu kritisieren bereit ist - außer St. Paulis Präsident Corny Littmann, der allerdings seinen Anteil an den Fernsehgeldern auch gerne mitnimmt. Mit höheren Einnahmen kann man im Idealfall einen besseren Kader zusammenstellen. Doch die Zusammensetzung des Teams ist für viele Fußballfans nicht das wesentliche Argument für einen Stadionbesuch.
Philipp Markhardt von "Pro Fans" formuliert eine ganz andere Prioritätensetzung: "Der Fußball lebt von den Emotionen. Die englische Premier League ist gespickt mit Stars und trotzdem fahren jedes Wochenende zahlreiche Engländer nach Deutschland. Weil sie hier günstigere Eintrittspreise vorfinden, im Stadion ein Bier trinken können und eben Fan sein dürfen. Und das machen sie auch ohne einen Giggs oder Rooney.
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