Barbarez: Der Titelkampf ist offen
11. Aug 09:30, ergänzt 11:21
Sergej Barbarez sieht einen schwächelnden FC Bayern. Im Interview mit der Netzeitung spricht der Neu-Leverkusener über das Titelrennen und darüber, wo er sich als Hamburg-Fan künftig seine Kleidung kauft.
Sergej Barbarez wagt nach sechs zumeist erfolgreichen Jahren beim Hamburger Sportverein noch einmal das Abenteuer Bayer 04 Leverkusen. Dort unterzeichnete der demnächst 35 Jahre alte Fußball-Profi einen Zwei-Jahresvertrag, weil beide Seiten «das zu 1000 Prozent wollten», wie Barbarez im Interview mit der Netzeitung sagt.
Kritikern, welche behaupten, der bosnische Nationalspieler habe seinen Zenit überschritten, antwortet Barbarez: «Wissen Sie, wenn einer mit 35 Jahren noch Profifußball spielen will und einen Vertrag bekommt, sollte man bei diesem Spieler nicht an der Motivation zweifeln. Diejenigen, die so etwas erzählen, sollen sich vor mich hinstellen, dann können wir gerne darüber reden.»
Rückrunde als Maßstab
Barbarez glaubt an eine spannende Meisterschaft: «Das wird dieses Jahr ein offenes Rennen von mehreren Mannschaften. Ich bin sehr gespannt, ob wir da eine Rolle spielen werden.« Zumal der FC Bayern «Probleme zu haben» scheint, wie Barbarez festgestellt hat.
Längst angekommen
Netzeitung: Sind Sie schon in Leverkusen angekommen?
Sergej Barbarez: Schon lange. Ich bin nicht so ein komplizierter Typ. Die ersten paar Tage waren vielleicht ein bisschen schwierig nach der langen Zeit in Hamburg.
Netzeitung: War die Arbeiterstadt Leverkusen für Sie ein Kulturschock, nach sechs Jahren im vornehmen Hamburg?
Barbarez: Ich war zu 1000 Prozent von Leverkusen überzeugt. Deswegen ist alles viel leichter gegangen. Ich war selbst überrascht. Ich will das hier durchziehen und bin bisher sehr zufrieden.
Netzeitung: Warum Leverkusen?
Barbarez: Ganz einfach. Weil die Leverkusener das zu 1000 Prozent wollten - und ich auch.
Netzeitung: Wie sind Sie Hamburg derzeit verbunden?
Barbarez: Sehr stark. Privat sowieso, aber auch beruflich mit meinen Ex-Kollegen. Ich sage jetzt Ex-Kollegen, es sind aber natürlich meine guten Freunde und ehemaligen Mitspieler. Meine Familie ist im Moment in Leverkusen, aber sie wird während der Saison hauptsächlich in Hamburg leben.
Keine Kinokarriere geplant
Netzeitung: Es scheint, als sei Leverkusen sein Image als Pillenklub leid. Auf Bannern auf dem Weg ins Stadion heißt es zum Beispiel: «Heimvorteil! Willkommen bei den Pillendrehern vom Rhein.» Wird die neue Selbstironie mehr Zuschauer ins Stadion locken?
Barbarez: Ich hab mir sagen lassen, dass das Stadion ohnehin immer recht voll ist. Es ist ja auch nicht so groß. Man bekennt sich mit dieser neuen Werbeaktion jetzt zu einem neuen Image, und das sollte auch so sein. Man sollte sich nicht für irgendetwas schämen, sondern zum eigenen Klub stehen.
Netzeitung: Im August können sich Kinobesucher vom neuen Auftritt des Werksklubs beeindrucken lassen. In einem halbminütigen Spot präsentieren Sie und Stefan Kießling sich dem Publikum. Arbeiten Sie schon an Ihrer Kinokarriere für die Zeit nach dem Fußball?
Barbarez: (lacht): Das war der Wunsch des Vereins. Ich bin da irgendwie reingerutscht. Es hat unheimlich viel Spaß gemacht. Ich habe auch in meiner Heimat schon ein oder zwei Spots gedreht, aber eine Karriere als Schauspieler plane ich nicht, um Gottes willen!
Kann «immer mithalten»
Netzeitung: Was entgegnen Sie denen, die sagen, ein Stürmer wie Dimitar Berbatov (zu Tottenham) lasse sich durch Sie und Fünf-Millionen-Einkauf Stefan Kießling nicht ersetzen?
Barbarez: Wer sagt das? Egal, das interessiert mich eh nur wenig. Ich habe mit 35 Jahren noch einen so tollen Vertrag bekommen bei einem so großen Verein. Das sagt doch alles. Ich habe längst bewiesen, dass ich immer mithalten kann. Auch letztes Jahr beim HSV. Ich bin nicht hierher gekommen, um jemanden zu ersetzen. Sondern der Verein hat jemanden in meinem Alter gebraucht, mit meiner Erfahrung, mit meiner Qualität. Deswegen bin ich da, und das werde ich auch einbringen. Ich habe in über 250 Bundesligaspielen fast 90 Tore gemacht. Das muss ein anderer Stürmer erst einmal schaffen.
Netzeitung: Sind andere Ligen in Europa wirklich so viel stärker als die Bundesliga?
Barbarez: Diese Weltmeisterschaft hat etwas anderes gezeigt. Nämlich, das auch deutsche Jungs gute Leistungen bringen können. Man sollte hier in Deutschland eher daran arbeiten, dass man als Mannschaft nicht nur beruflich, sondern auch privat etwas zustande bringt. Das fehlt mir ein bisschen in Deutschland. Aber die fußballerische Qualität besteht auf jeden Fall. Man war in Deutschland in ein kleines Loch gefallen, aber jetzt geht es wieder in die richtige Richtung, nach oben.
Netzeitung: 2001, gleich im ersten Jahr beim HSV, wurden Sie gemeinsam mit dem Schalker Ebbe Sand mit 22 Treffern Torschützenkönig. Von Ihnen heißt es, Sie seien nur eine Verstärkung, wenn bei Ihnen Motivation und Kondition stimmen. Ist das derzeit der Fall?
Barbarez: Und wer behauptet das nun schon wieder? Wissen Sie, wenn einer mit 35 Jahren noch Profifußball spielen will und einen Vertrag bekommt, sollte man bei diesem Spieler nicht an der Motivation zweifeln. Diejenigen, die so etwas erzählen, sollen sich vor mich hinstellen, dann können wir gerne darüber reden.
Netzeitung: «Ich will angreifen, Initiative ergreifen. Meine Denkweise deckt sich mit der des Klubs, da bin ich mir ganz sicher ... Ich muss mich nicht mehr profilieren, ich will nur helfen«, haben Sie kürzlich gesagt. Wie wollen Sie das tun?
Barbarez: Ganz einfach. Weiter so Fußball spielen wie bisher und mich so benehmen wie immer. Der Verein wollte mich so haben wie ich bin. Privat, beruflich, wie ich spiele wie ich mit anderen Spielern umgehe.
Netzeitung: Michael Skibbe scheint für die neue Saison das 4-2-3-1-System zu bevorzugen. Als Stoßstürmer ist Stefan Kießling vorgesehen, in der offensiven Zentrale spielten zuletzt Sie. Sind Sie einverstanden mit dieser Idee?
Barbarez: Wir werden das System sicher öfter ändern. Wir haben in der Vorbereitung auch mal mit einem Dreier-Mittelfeld gespielt, mal mit einem Vierer-Mittelfeld. Sicher ist es so, dass der Trainer dieses System vorgegeben hat. Wenn wir stark genug sind, werden wir das auch beibehalten und uns nicht an das Spiel des Gegners anpassen. Aber es ist sicher so, dass eine Mannschaft, die heutzutage Spitze sein will, variabel sein muss.
Netzeitung: Was sind Ihre persönlichen Ziele mit Leverkusen?
Barbarez: Ich will sehr viel Erfolg haben.
Netzeitung: Kann Bayer Leverkusen den fünften Platz aus der letzten Saison verteidigen oder ist mehr drin?
Barbarez: Wir wollen mehr erreichen als letztes Jahr. Das ist richtig. Wir wollen richtig Gas geben, richtig Spaß haben, einfach beweisen, dass eine solche Leistung wie die der Leverkusener in der letzten Rückrunde über eine ganze Saison möglich ist. Ich halte die Champions-League-Qualifikation für realistisch, weil wir einen sehr guten Kader haben. Dass man uns nicht so auf dem Plan hat, kann auch ein Vorteil für uns sein. Wir haben jedenfalls große Ziele, die wir zu erfüllen versuchen.
Chef bleibt Chef
Netzeitung: In Ihrer Zeit bei Hansa Rostock haben Sie Ihren damaligen Trainer Ewald Lienen als Lieblingstrainer bezeichnet. Hat Michael Skibbe das Zeug dazu, Lienen in diesem Sinne abzulösen?
Barbarez: (lacht): Ich bin eigentlich mit jedem Trainer gut ausgekommen. Bei Ewald hat es eben auch menschlich und privat sehr gut gepasst. Deswegen habe ich das damals gesagt. Normalerweise gehe ich mit meinem Chef privat gar nichts ein. Aber mit Michael verstehe ich mich auch sehr gut. Wir werden sehen.
Netzeitung: Wer wird Meister?
Barbarez: Dieses Jahr wird es offener werden. Bayern wird seit vier, fünf Jahren stark eingeschätzt. Jetzt scheinen sie Probleme zu haben. Das wird dieses Jahr ein offenes Rennen von mehreren Mannschaften. Ich bin sehr gespannt, ob wir da eine Rolle spielen werden. Das wird eine dieser Saisons, von denen es in fünf Jahren nur eine gibt - in denen der FC Bayern nicht so dominant sein wird. Auch andere Mannschaft werden ein Wörtchen mitreden.
Netzeitung: Sie legen viel Wert auf Stil und ausgefallene Kleidung. Gibt es in Leverkusen überhaupt entsprechende Boutiquen?
Barbarez: Leverkusen liegt zwischen mehreren schönen Orten, wo man sich das auch besorgen kann.
Das Interview mit Sergej Barbarez führte Markus Wanderl
http://www.netzeitung.de/sport/bundesliga/431366.html