FERNE ZUKUNFT
Im Universum wird's finster
Von Stefan Schmitt
Künftige Astrophysiker werden sich in ihrer Galaxie sehr einsam fühlen. Weder Urknall, noch Rotverschiebung oder dunkle Energie werden sie erahnen können. Für diese düstere Vorhersage erhielten zwei US-Forscher einen Preis - auch wenn ihre Zukunft erst nach dem Ende der Erde beginnt.
Alleine auf einer Insel und bar jeder Möglichkeit, sich der Umgebung zu vergewissern - so malten sich zwei US-Astrophysiker die Zukunft ihrer Zunft aus. Es ist gleichwohl ein sehr fernes Übermorgen, denn runde drei Billionen Jahre denken Lawrence Krauss von der Case Western Reserve University und Robert Scherrer von der Vanderbilt University voraus. In dieser weit entfernten Zeit, erahnen sie, werden Himmelsforscher glauben, in einem statischen Universum zu leben.
"Die Rückkehr des statischen Universums und das Ende der Kosmologie", heißt der Aufsatz, in dem sie dieses Gedankenspiel voranspinnen. Wir spulen das gegenwärtige Universum in der Zeit vor, erklären sie darin ihren Lesern.
Dabei gehen sie von jenen Schlüssel-Faktoren aus, derer sich heutige Kosmologen bedienen, um Herkunft und Zustand des Universums zu erklären: Die Rotverschiebung, die Mikrowellen-Hintergrundstrahlung, die ersten Elemente - und die geheimnisvolle dunkle Energie. Von all diesen Dingen werden ihre fernen Kollegen einst keinen blassen Schimmer mehr haben, sind Krauss und Scherrer überzeugt, und so den Eindruck haben, in einem statischen Universum zu leben.
Spuren des Big Bang werden verschwinden
Dieses Gedankenspiel liegt der Fachzeitschrift "General Relativity and Gravitation" vor und soll in ihrer Oktoberausgabe erscheinen, wie Krauss' Universität mitteilte. Im Internet ist eine Vorabfassung des geradezu humorvoll geschrieben Artikels abrufbar. Und die Gravity Research Foundation zeichnete ihn nun als einen der fünf besten Aufsätze zum Thema Gravitation (in Theorie, Anwendung oder Auswirkung) der letzten zwölf Monate aus.
Folgendermaßen argumentieren die beiden Weit-Vorausblicker: Die Feststellung Edwin Hubbles aus zwanziger Jahren, dass das Weltall sich ausdehnt, fußt auf der Beobachtung der Rotverschiebung des Lichts sich von der Erde entfernender Sterne. So kamen die Menschen erst daraus, dass das gesamte Universum auseinanderstrebt ("expandiert"). Die Entdeckung der Mikrowellenstrahlung, die auch als kosmisches Hintergrundrauschen oder Nachhall des Urknalls bezeichnet wird, verfestigte in den folgenden Jahrzehnten das Big-Bang-Modell und damit die Vorstellung eines dynamischen Universums.
Diese Strahlung werde sich aber in längere und immer längere Frequenzen verschieben, so dass sie irgendwann nicht mehr innerhalb unserer Galaxie festgestellt werden könne. "Dann wird man sie sprichwörtlich nicht mehr detektieren können", sagte Krauss. Sternensysteme, in denen wir heute noch Deuterium feststellen können - eines der ältesten Elemente -, würden sich immer weiter im Universum verteilen und für einen Beobachter aus unserer Galaxie unsichtbar werden, so die beiden Physiker.
Versuch, die Schwerkraft abzuschaffen
All das mag aus heutiger Perspektive ziemlich abstrus klingen. Und auch die Anfänge der Gravity Research Foundation, welche die Autoren auszeichnete, muten eigentümlich an: Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von dem Geschäftsmann Roger Babson gegründet, der Ideen fördern wollte, um die Schwerkraft zu mindern oder ganz außer Kraft zu setzen. Babson hatte in seiner Kindheit eine Schwester verloren - sie war ertrunken. Später schrieb er: "Sie konnte die Schwerkraft nicht besiegen, die heraufkam und sie packte wie ein Drache und sie zum Grund hinabzog."
Erfolgreich war seine Initiative indes nicht. Die Gesellschaft stellte in den sechziger Jahren ihre Tätigkeit ein - bis auf die jährliche Preisverleihung für die lesenswertesten Forschungsaufsätze über die vermaledeite Gravitation.
Überraschenderweise finden sich auf der Liste der bisherigen Preisträger Geistesgrößen der Physik wie der britische Pop-Physiker Stephen Hawking (mehrmals), der jüngste Physiknobelpreisträger George Smoot (mehr...), Cern-Forscher John Ellis und der Hamburger Physiker Christoph Burgard. Ein Grund also, die düsteren Visionen von Krauss und Scherrer nicht ganz leichtfertig abzutun.
. Teil: Dunkel, riesig und ungeheuer einsam - die Zukunft des Universums ist trist. Doch die Erde wird dies nicht mehr erleben.
Die ungeheuren Entfernungen, welche die Galaxien nach drei Billionen Jahren voneinander trennen werden, könnte dazu führen, dass sich die Milchstraße in einem überwältigend schwarzen Nichts wiederfindet. Schlecht für künftige Astronomen: Denn nur durch die Beobachtung ferner Galaxien ziehen sie heutzutage Rückschlüsse auf die Kraft, welche die Welt im Innersten zusammenhält. Die dunkle Energie - 75 Prozent des Weltalls bestehen daraus (mehr...) - lässt sich nicht direkt beobachten. Nur aus ihrer Wirkung auf Sterne können Kosmologen folgern, dass die dunkle Energie da ist und was sie macht.
Dunkles, einsames Universum ohne heutige Hinweise
All das würde Bewohnern unserer Galaxie in drei Billionen Jahren entgehen. "Letztendlich wird das Universum dann statisch erscheinen", sagte Krauss. "Alle Beweise der modernen Kosmologie werden verschwunden sein."
Das gilt allerdings ebenso für die Sonne. Experten gehen davon aus, dass sie im Alter von rund 12,5 Milliarden Jahren als Weißer Zwerg enden wird. Heute hat sie bereits rund 4,5 Milliarden Jahre auf dem Buckel. Die Erde wird sie schon deutlich vor ihrem Ende verbrennen. Um das von Krauss und Scherrer beschriebene statischen Universum überhaupt wahrzunehmen, müssten sich also in ferner Zukunft auf anderen Planeten der Milchstraße intelligente Zivilisationen entwickeln, die obendrein auch noch Interesse an der Sternenkunde haben.
"Wir leben in einer ganz besonderen Phase der Entwicklung des Universums", schließen die Astrofuturologen höchst philosophisch, "zur einzigen Zeit, in der wir bestätigen können, dass wir in einer ganz besonderen Phase der Entwicklung des Universums leben."
Keine Frage, die beiden Preisträger sehen ihren Job im ganz großen Kontext. Beide veröffentlichen übrigens in ihrer Freizeit seit langem Science-Fiction-Prosa.
[URL=http://www.spiegel.de/wissenschaft/weltall/0,1518,484800,00.html]hier entlang [/URL]