Guter Artikel und sehr lesenswert !!!
LANGWEILIGE FUSSBALL-FANGESÄNGE
Oléolé - schaaalala-lala!
Was aus Deutschlands Fankurven ertönt, ist weder originell noch beleidigend - sondern einfach einfallslos. Warum so trist? Meist reicht für einen schönen Schlachtruf doch schon der Blick aufs gegnerische Mannschaftsfoto!
Vergangenes Wochenende habe ich mir drei Fußballspiele angeschaut: Stuttgarter Kickers gegen die Amateure von 1860, Mainz gegen Mönchengladbach und Karlsruhe gegen Freiburg. Von allen drei Stadien, in denen ich im Übrigen sehr gerne bin, gäbe es genug Atmosphärisches zu berichten. Von den wackeren Mainzern, die ihre Mannschaft trotz des Abstiegs hochleben ließen, von den KSC-Fans, die nach dem Platzsturm den Rasen mit nach Hause nahmen und von den Anhängern der Kickers, die es sich in ihrem grünen Biotop hoch über der Stadt gemütlich gemacht haben. Nur die Anfeuerungsrufe während des Spiels, die waren überall gleich.
In allen drei Stadien, in allen drei Ligen der gleiche monotone Singsang, wie übrigens überall in Deutschland. Von Burghausen bis Rostock erschallt beim Abschlag des gegnerischen Torwarts ein "Arschloch, Wichser, Hurensohn", der Gegner wird wahlweise mit "Scheiß X" oder "Xer Arschlöcher" bedacht. Nicht, dass ich etwas gegen Gegnerbeschimpfungen hätte. Die gehören zum Fußball unbedingt dazu und lassen sich mit Shakespeare-Zitaten eben nicht besonders glaubwürdig artikulieren. Aber eben auch nicht mit Drei-Wort-Tourette-Stakkatos, die jeder Profi in seinem Leben schon 4837-mal gehört hat. Wer jemanden treffen will, muss gut zielen. Und verdammt noch mal, es gibt doch sicher in jeder Fankurve ein paar Sadisten oder Charakterschweine, die sich vor einem Spiel einige originellere Tiraden überlegen könnten, oder? Manchmal reicht doch schon ein Blick auf das Mannschaftsfoto des Gegners!
Das gleiche Elend beim angeblichen "Support" der eigenen Mannschaft. Die Seite http://www.fangesaenge.de listet bei manchen Vereinen (Spitzenreiter ist der VfL Bochum, knapp vor Alemannia Aachen) weit über 150 verschiedenen Songs und Slogans auf, die da angeblich aus dem Fanblock zu hören seien. Selbst wenn man weiß, dass der Shanty mit dem Titel "Aachen", der mit dem Text "Aachen, Aachen" und der aus den drei Worten "Aachen", "Aachen" und "Aachen" schon drei der 171 aufgezählten sind, spricht das doch für eine erstaunliche Kreativität. Allein, sie verpufft ungehört. Denn was hört man allüberall aus den Fankurven? Zu drei verschiedenen Melodien die Lobpreisung des jeweiligen Vereinsnamens in Kombination mit den Worten "Super", "Olé" oder "Schalala". Eine sprachliche Bandbreite, die vielleicht für eine Castingshow, nicht aber für eine echte Fankurve reicht.
Und die Ultras? Stimmt, die lassen nicht nur mit liebevollen Choreographien das Auge jubilieren, sondern dichten zuweilen auch eigene Lieder, teilweise extra auf einen bestimmten Spieltag abgestimmt und überhaupt. Doch nur allzu oft sind sie dennoch auf verlorenem Posten, weil wieder 90 Prozent der Leute den Text nicht kennen und es auf Dauer doch reichlich dämlich aussieht, wenn man wie einst die Wiener Sängerknaben mit einem Zettel vor der Nase den Bariton erklingen lässt, während unten die Mannschaft den dritten Platzverweis kassiert. Wahrscheinlich vertonen deswegen auch so viele Ultras aus lauter Frust 90 Minuten lang Kinderreime à la "Auf geht's,
Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Im Gegensatz zu den meisten anderen Ligen geht es in Deutschlands Stadien wenigstens laut zu, Fußball ist allermeistens noch wirklich ein Live-Erlebnis, das der bedauernswerte Fernseh-Fußball-Fan (ein Widerspruch in sich) nie kennen lernen wird. Alles wäre bestens, wenn, ja wenn es nur hin und wieder mal ein klein bisschen überraschender zugehen würde. Wetten wir, dass auch nächste Saison wieder Bananen fliegen, wenn Oliver Kahn bei der Gästemannschaft im Tor steht? Und garantiert wird wieder jemand "Fahrkartenkontrolle" brüllen, wenn sich nach dem Spiel endlich die vollbesetzte U-Bahn in Bewegung gesetzt hat. Wenn es nach mir ginge, würden drei von vier Stadionverboten wieder aufgehoben, da bin ich ganz Ultra. Aber mit U-Bahn-Verboten würde ich nur so um mich werfen!
http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,483311,00.html