AFGHANISTAN
Mütter rauchen mit Kleinkindern Opium
Von Joachim Hoelzgen
Selbst einfachste Arzneien fehlen - deshalb greifen immer mehr Frauen in Afghanistan zur Opiumpfeife. Sie lindern so eigene Schmerzen, aber auch die ihrer Kinder, denen sie den Rauch in den Mund pressen. Die Folge: Alle werden süchtig. Die Uno ist alarmiert
Die afghanische Provinz Badakhshan befindet sich im äußersten Nordosten des Landes. Ihre Täler begrenzen den Hindukusch, aus dem der Noshaq emporragt, mit 7492 Metern der höchste Berg Afghanistans. Doch der schweigenden Schönheit der Gebirgslandschaft steht das Schicksal der Menschen in den Dörfern gegenüber, die der raue Alltag früh zermürbt.
Sie leben in einer Welt der sozialen Verwüstung, wie der Uno-Nachrichtendienst Irin gerade berichtet. Denn viele von ihnen rauchen Opium, ohne von dessen Gefahren zu wissen. Sie schmauchen den bräunlich-schwarzen Stoff mit Hilfe der "Hookah", der Opiumpfeife, weil es in den Lehmziegeldörfern keine Medikamente gibt. Opium aber enthält Morphin, das zunächst einmal Schmerzen betäubt - und Kodein, das Husten unterdrückt, von dem in den Tälern wegen der harten Winter fast alle betroffen sind, vor allem die Kinder.
Und Opium gibt es in der wilden Welt von Badakhshan gerade jetzt in Hülle und Fülle. Bis Ende dieses Monats werden hier die Schlafmohnfelder abgeerntet - von Bauern, die mit dem Opiummesser tagsüber die Mohnkapseln anritzen, so dass deren Milchsaft austritt. Der erstarrt während der Nacht und wird am nächsten Morgen, wieder mit dem Opiummesser, als Rohopium abgeschabt.
Der Konsum von Opium war in Afghanistan bisher eher die Ausnahme, obwohl das Land davon am meisten erzeugt - voriges Jahr 6100 Tonnen. Den tiefreligiösen Afghanen ist der Genuss von Rauschmitteln verboten, so wie es der Prophet im heiligen Koran befohlen hat. Erst eine Drogenmafia von Warlords, Schmugglern und Taliban fing mit dem Export von Opium und daraus produziertem Heroin so richtig an, das über Pakistan, die ehemaligen Sowjet-Republiken Zentralasiens und Iran in den Rest der Welt gelangt.
Nun aber, mit ständig neuen Rekordernten, fallen auch immer mehr Afghanen dem Suchtstoff Opium zum Opfer. Die Uno-Behörde für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) geht davon aus, dass inzwischen eine Million Menschen zwischen dem Hindukusch und den Wüsten des südlichen Afghanistan opiumsüchtig geworden ist - und besonders krass sind die Folgen in Badakhshan.
Blick mit glasigen Augen
Dort sind vor allem Frauen betroffen, die Opium als Medizinersatz gebrauchen - und es auch kranken Kindern verabreichen. In dem Dorf Jokhan etwa benutzt die vierfache Mutter Sadaf Opium als Beruhigungsmittel, indem sie an der Opiumpfeife zieht und den Rauch dann in den Mund der Kinder presst.
Eines der Kinder hat wie viele hier Lungenentzündung, heißt es in dem Bericht des Irin-Journalisten, und auch die Geschwister leiden an Erkrankungen der Bronchien. Dank des Morphins aber sind sie erst einmal still und haben mit dem Weinen aufgehört.
Die Mutter Sadaf aber weiß nicht, dass sich die Erkrankungen der Kinder wegen des Qualms nur noch verschlimmern - und dass sie, wie sie selber, süchtig werden. Der Uno-Korrespondent hat dazu auch ein Video aufgenommen, in dem es die Großmutter ist, die den Opiumrauch appliziert. Aus einem verstörten Gesicht blicken glasig die Augen eines kleinen Mädchens in die Kamera.
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