5,6 Millionen Euro hat es sich Leverkusen kosten lassen, Arturo Vidal, den talentierten Chilenen, zu holen.
Von Javier Cáceres
Die kubanische Sängerin Celia Cruz galt zu Lebzeiten als eine der größten Künstlerinnen der Salsa-Musik, was unter anderem daran lag, dass all die Schönheit bei ihr in den Stimmbändern konzentriert war. Im Umkehrschluss bedeutete dies stets auch, dass sie - zumindest gemessen an den eurozentristischen Kategorien von Schönheit - unfassbar hässlich war. Natürlich hat ihr das niemand je ins Gesicht gesagt, und eigentlich war es auch in dem Moment vergessen, in dem sie auf barock verschnörkelten Stöckelschuhen über die Bühne tanzte, dass einem Hören und Sehen verging, und das Publikum laut "¡Azúúúcaar!‘‘ rief, "Zucker!‘‘ - der bedeutendste Rohstoff ihrer Heimatinsel.
Braver als die Thekenkicker
Was das alles mit Fußball zu tun hat? Nun, der chilenische Defensivmann Arturo Vidal, soeben von Rudi Völler bei Santiagos Traditionsklub Colo Colo ausgelöst und zum Bundesligisten Bayer Leverkusen transferiert, ist von seinen Kameraden einst ebenso getauft worden: Celia Cruz. Wie es in seiner Heimat heißt, soll dies Vidal den alltäglichen Blick in den Spiegel arg vermaledeit haben, was kaum verwundert. Auch ihm blieb ja nicht verborgen, dass er seinen bizarren Nom de guerre, seinen Kampfnamen für Rasenspiele, einer nicht bloß behaupteten Ähnlichkeit mit der Artistin zu verdanken hat. Erst nach einem Ausflug zu einer U20-Südamerikameisterschaft in Paraguay war er den ungeliebten Spitznamen wieder los. Er ließ sich einen Mohikaner schneiden und die Haare färben. Seither heißt er Celia Punk.
Zurzeit ist Celia Punk, 20, mit der U20-Auswahl seines Landes bei der Jahrgangs-WM in Kanada aktiv, und das überaus erfolgreich. Mit der Qualifikation fürs Halbfinale, an diesem Donnerstag gegen Argentinien, haben sie dafür gesorgt, den Chilenen wieder den Kater auszutreiben, der auf das alkoholgetränkte Aus bei der gerade erst beendeten Copa América der Erwachsenen-Elf gefolgt war. Nun ist es nicht so schwer, sich konventioneller zu verhalten als jene Thekenkicker, die - nach einem Saufgelage in Tateinheit mit sexueller Belästigung sowie einer 1:6-Niederlage gegen den späteren Champion Brasilien - vom Verband für 20 Länderspiele gesperrt wurden. Chiles Milchbubis aber scheinen gegen alle Versuchungen gefeit zu sein. Gegenüber der Delegationsleitung klagten sie entnervt über ein zu hohes Maß an Groupies in der Hotel-Lobby. Die überraschten Team-Betreuer sorgten daraufhin dafür, dass die Fans aus dem Quartier entfernt wurden.
Doch nicht nur durch keusche Grundeinstellung fielen die Kicker aus dem Andenstaat auf. Sondern auch durch fußballerischen Glanz, der bislang zweimalige Torschütze Vidal (1,80 m/71 Kilo) wurde bei einer Umfrage gar zu einem der drei besten Spieler der WM-Vorrunde gewählt. Umso dickflüssiger trieft der Pathos in den Medien seines Landes, wenn die Koordinaten dieser, an den nationalen Maßstäben gemessenen, außergewöhnlich erfolgreichen Fußballer-Karriere geschildert werden, die ihren Ausgang in San Joaquín nahm, einem Slum in Santiago. Von seinem leiblichen Vater will er heute kaum mehr wissen, als dass es ihn einmal gab; seine Mutter, Jacqueline, musste sich als Haushälterin verdingen, um Arturo und seine fünf Geschwister durchzubringen. ,,Er hat oft bei uns gegessen, wir haben ja gesehen, dass er daheim nicht genug bekam‘‘, hat sein Jugendfreund Felipe Flores erzählt. Und dass Colo Colos Jugendabteilung Vidal in das vereinseigne Internat holte, sollte in erster Linie sicherstellen, dass er sich regelmäßig ernährt.
"Nennt mich Elias Figueroa"
Er war 13, als ihn der Ruf von Colo Colo ereilt hatte; ein Streit um seinen Spielerpass führte dazu, dass er ein Jahr lang nicht spielen und also seinen Kameraden am Wochenende nur die Bälle und die Wasserflaschen hinterhertragen durfte. ,,Ich hatte Geduld. Und schau, wo ich jetzt bin‘‘, sagt Vidal. Vor zwei Jahren, gerade 18, feierte er sein Erstligadebüt mit Colo Colo, seither ging es stetig bergauf. Schon an dem Tag, als er die Rechte an Vidal für Chiles Rekordablösesumme von 5,6 Millionen Euro erstand, stieß Völler in Santiagos Szenelokal Liguria erleichtert auf das Geschäft an. Zwar hatte er damit nach dem Bayern-Paket (Luca Toni, Ribéry, Klose, Jansen, etc.) und dem Carlos-Alberto-Deal von Werder Bremen den teuersten Transfer des Bundesligasommers gezeichnet -, andererseits war er sich sicher, dass der in Insiderkreisen ob seiner Robustheit, Übersicht und feinen Technik gelobte Vidal nur ein paar Monate später nicht nur für Leverkusen unerschwinglich geworden wäre.
Die U20-WM dürfte ihn darin bestätigen. Die Schnäppchenjäger des globalen Markts haben Chiles Kader so sehr umschwärmt, dass dieser daheim schon "La tienda nacional‘‘ genannt wird, der nationale Laden. Im WM-Halbfinale in Kanada stehen dem chilenische Shop nun freilich zwei übermächtige Gegnern gegenüber: Argentinien und die eigenen Komplexe. Gerade im Vergleich zu Argentiniens Fußball ist der chilenische ausgesprochen erfolglos, der dritte Platz bei der Erwachsenen-WM 1962 im eigenen Land ist die größte Auszeichnung, auf die Chiles Fußball zurückblicken kann.
"Ich will Weltmeister werden‘‘, hat Vidal getönt, was davon zeugt, dass er sich nicht allzu sehr um jene schert, die da meinen, der Spagat zwischen Demut und Fama gelinge ihm nicht immer.
Nicht nur Celia Cruz, auch Celia Punk will der neuer Linksverteidiger von Bayer Leverkusen mittlerweile nicht mehr genannt werden, "nennt mich Elias Figueroa‘‘. So hieß der beste chilenische Innenverteidiger der Geschichte - er wurde drei Mal zu Südamerikas Fußballer des Jahres gewählt.
(SZ vom 18.7.2007)