STEFAN KIESSLING (24) und PATRICK HELMES (24) bilden das derzeit beste deutsche Sturmduo in der Liga. Die Leverkusener sprechen über ihr persönliches Verhältnis, den Titel, Krisen und die Nationalelf.
kicker: Egal, was man im Archiv findet in Storys über Stefan Kießling und Patrick Helmes – nach ein paar Zeilen stößt man auf Stichworte wie Sympathie, Kameradschaft, fantastisches Verhältnis. Haben Sie sich gesucht und gefunden?
Stefan Kießling: Das wird nur nach außen gespielt. In der Kabine sieht es anders aus.
Patrick Helmes: Da kriegt der Stefan immer Lack von mir.
Kießling: Nein, im Ernst. Wir haben uns bei der U 21 kennengelernt und fanden uns auf Anhieb sympathisch.
Helmes: Wir haben uns nicht gesucht, aber gefunden.
kicker: Was sich auf dem Platz in dieser Vorrunde sehr positiv auswirkte. Sie bilden das erfolgreichste deutsche Sturmduo. Überrascht Sie diese Entwicklung selbst?
Helmes: Wir sind nicht nur das erfolgreichste, wir sind ja auch das einzige deutsche Sturmduo, das durchgehend spielt. Entscheidend ist, dass wir nicht nur auf dem Rasen harmonieren. Wir verstehen uns auch außerhalb, und jeder gönnt dem anderen sein Tor. Das ist extrem wichtig.
kicker: Täuscht der Eindruck, dass Stefan Kießling mehr läuft als Sie, Herr Helmes?
Helmes: Ich sag’s mal so: Ich laufe viel, er läuft mehr. Dafür meckert er, wenn ich direkt schieße und ihn übersehe.
Kießling: Was heißt hier meckern? Ist doch nicht so gemeint, Paddy. Wichtig ist, dass nach Spielschluss alles vergessen ist. Wir ergänzen uns perfekt.
kicker: Sie beide durchlebten in dieser Saison Phasen, in denen es nicht so lief. Sprechen Stürmer miteinander darüber? Versucht man zu helfen, dem Kollegen ein Tor aufzulegen?
Kießling: Nein, groß gesprochen wird nicht darüber. Wir zwei sind Typen, die sich sowieso vor jedem Spiel gegenseitig pushen und anfeuern. Dass ein Stürmer mal nicht trifft, das ist normal.
kicker: Stefan Kießling, Sie wurden in Ihrem ersten Jahr in Leverkusen als „teuerste Bratwurst, die je aus Nürnberg kam“ bezeichnet. Patrick Helmes bekam nach Bekanntgabe seines Wechsel vom 1. FC Köln zu Bayer Leverkusen die volle Breitseite von vielen Fans ab. Wie haben Sie das empfunden?
Helmes: Es war eine extreme Situation. Jeder kennt die Rivalität zwischen den beiden Klubs, dass ich Publikumsliebling in Köln war, machte die Sache noch schwerer. Aber ich habe viel mitgenommen in dieser Zeit, die Sache hat mich menschlich reifen lassen. Ich wusste ja, ich werde von allen Seiten beobachtet. Es war extrem wichtig, sich da durchzubeißen. Insofern war diese schwere Zeit die für mich wichtigste bisher.
kicker: Gab es nie den Gedanken, vorzeitig die Flucht zu ergreifen?
Helmes: Nein, überhaupt nicht. Der FC war ja mein Verein, seit der Jugend schon.
kicker: Wie ist das Verhältnis heute?
Helmes: Es ist klar, dass da einiges schiefgelaufen ist. Aber ich bin überhaupt nicht nachtragend. Ich habe ein gutes Verhältnis zu allen Beteiligten, ich lebe in Köln. Für mich war wichtig, dass mir immer bewusst war: Junge, du kannst nichts für dieses Theater. So hatte ich immer ein reines Gewissen.
kicker: Haben Sie Ihren Wechsel nach Leverkusen damals bereut, Herr Kießling?
Kießling: Es war eine schwere Zeit für mich. Ich war ein paar hundert Kilometer weg von daheim, ganz allein. Da macht man sich zusätzliche Gedanken, wenn es sportlich nicht läuft, und dann kommst du in einen Teufelskreis.
kicker: Wer hat Ihnen wieder rausgeholfen?
Kießling: Mein Umfeld, klar. Verwandte, Freunde, meine Lebensgefährtin. Aber ich habe mir auch selbst geholfen, einen Reifeprozess durchgemacht. Rückblickend muss ich sagen, dass mich die Erfahrungen weitergebracht haben.
kicker: Sportlich lief es unter anderem deshalb nicht immer optimal, weil Sie beide von Ihren Trainern – Christoph Daum und Michael Skibbe – auf die rechte Außenbahn geschickt wurden. War das eine verschenkte Zeit für Vollblutstürmer wie Sie?
Helmes: Verschenkt auf keinen Fall. Ich war nicht begeistert, aber Daum wollte mit einer Spitze spielen, und die hieß eben Novakovic. Ich war wirklich nicht glücklich über die Versetzung, habe ja auch einige Takte dazu gesagt, mich aber irgendwann damit abgefunden und ja auch von da getroffen. Letztlich muss ich zugeben, dass es mich fußballerisch weitergebracht hat. Ich weiß heute, dass ich nicht nur in der Mitte spielen kann. Aber da spiele ich natürlich am liebsten.
Kießling: Bei mir war es ähnlich. Dass die rechte Außenbahn nicht meine Heimat ist, hat jeder gesehen. Ich bin nicht der Typ, der die Linie entlangflitzt und zwei Leute ausspielt. Aber ich habe auch dort gute Spiele gemacht, weil ich die Sache angenommen habe. Da kamen mir mein Wille und meine Laufbereitschaft zugute.
kicker: Herr Helmes, Sie haben nach ein paar Wochen Ihren gerade angelaufenen Vertrag bei Bayer um ein Jahr verlängert. Warum?
Kießling: Weil er mehr Kohle kriegt . . .
Helmes: Mach’s doch auch!
Kießling: Klar, ich würde nicht Nein sagen.
Helmes: Aber im Ernst. Der Verein kam früh auf mich zu, und ich hatte kein Problem damit. Auch wenn das selten ist. Ich fühle mich wohl hier, das merkt man ja auf dem Platz. Hier stellen sie uns ein geiles Stadion hin, und wir haben eine überragende Mannschaft mit viel Potenzial. Hier stimmt alles, und deshalb habe ich unterschrieben. Von Bayer ist einiges zu erwarten in den nächsten Jahren.
Kießling: Das ist der entscheidende Faktor! Leverkusen will etwas aufbauen, und wir wollen Teil davon sein. Deshalb denke ich auch überhaupt nicht über irgendwelche Angebote nach. Für mich stimmt sportlich und privat alles. Paddy hat verlängert, Castro, Adler, das sind wichtige Zeichen für die Zukunft.
kicker: Das Ausland lockt nicht? Ihnen beiden wird ein Hang zum englischen Fußball nachgesagt!
Helmes: Ich verfolge die Premiere League schon sehr interessiert. Sie ist ein Traum, aber aktuell überhaupt kein Ziel. Und anderswohin würde ich nicht wecheln.
Kießling: Spanien ist auch nicht schlecht.
Helmes: Kommt nicht in die Tüte. England oder gar nichts. Auf absehbare Zeit sowieso nur Bayer.
Kießling: In Spanien ist es wärmer als in England.
Helmes: Dann geh du ins Warme, ich geh ins Kalte.
kicker: Hat die zuvor sehr erfolgreiche Hinrunde durch das 1:1 zum Abschluss gegen Energie Cottbus einen deutlichen Dämpfer bekommen?
Kießling: Diese zwei Punkte hätten wir gut gebrauchen können. Wenn man so kurz vor Schluss in Führung geht, muss man das Ding nach Hause schaukeln. Wir haben über weite Strecken eine gute Hinrunde gespielt, dieses Unentschieden hat dafür gesorgt, dass es keine sehr gute war. Immerhin hatten wir am letzten Spieltag noch die Chance, Erster zu werden, jetzt überwintern wir nur auf Rang fünf.
Helmes: Zumindest unser Minimalziel haben wir erreicht, und wir haben noch Steigerungspotenzial. Wir brauchen jetzt
den Kopf nicht in den Sand zu stecken.
kicker: Was passiert, wenn diese junge, talentierte Mannschaft auseinanderbricht, weil die Erfolge sich nicht einstellen?
Helmes: Warum sollten die sich nicht einstellen? Wir bestimmen es selbst. Und wenn wir weiter so spielen wie in Teilen der Vorrunde, dann mache ich mir keine Sorgen, dass wir weit oben landen.
kicker: Was macht Sie so optimistisch?
Helmes: Wir spielen nicht international und können im Training aus dem Vollen schöpfen. Und wir haben einen Trainer, der das ausnutzt! Noch mal: Wir können weit oben landen.
Kießling: Wenn wir die Partie gegen die Bayern ausnehmen, waren wir in jedem Spiel in dieser Vorrunde die bessere Mannschaft. Auch bei den Niederlagen. Die waren, bis auf das 0:2 gegen München, alle unnötig, die hatten wir uns alle selbst zuzuschreiben. Es liegt nur an uns. Wenn es uns gelingt, die Fehler abzustellen, dann haben wir alles in der Hand.
kicker: Trotz des Standortnachteils wegen des Umzuges nach Düsseldorf?
Helmes: Erstens sind da die Tore auch nicht kleiner, zweitens haben wir auswärts doch viele Punkte geholt, oder? Es kann ein Problem für die Fans werden, die 40 Kilometer anreisen müssen. Wir müssen sie davon überzeugen, dass es sich lohnt.
Kießling: Hoffenheims Fans sind auch nach Mannheim gefahren. Also werden unsere auch in die LTUArena kommen. Für uns Spieler ist der Umzug kein Problem.
kicker: Wann trifft sich Deutschlands bestes Sturmduo endlich in der Nationalelf?
Helmes (lacht): Ich weiß nicht. Ich bin ja da!
Kießling: Blödmann!
Helmes: Ich denke, wenn er so weitermacht und seine Leistung bringt, dann kommt das ganz automatisch.
Kießling: Ich halte es so, wie ich es seit Monaten halte: Ich halte die Klappe und gebe Gas.
kicker: Fernando Torres vom FC Liverpool sagte in einem Interview, sein Kollege Steven Gerrard sei das, was er sehen möchte, wenn er morgens in den Spiegel schaut. Wen würden Sie gerne sehen?
Helmes: Auf keinen Fall den Kießling. Da falle ich ja rückwärts wieder ins Bett.
Kießling: Uns wollen wir sehen. Nur uns. Und zwar glücklich!
INTERVIEW: FRANK LUSSEM
Quelle: kicker-Printausgabe vom 15.12.08