Kampf gegen Gewalt
Ich war in der Hölle von Dresden
Die Hooligans von Dynamo Dresden: Auch gegen Union Berlin (2:0) schmissen sie wieder Flaschen und Steine, beschimpften den Gegner mit *zensiert*-Sprüchen. SPORT BILD-Reporter Andreas Böni war hautnah dabei. Hier sein Report
Von Andreas Böni
Am Abend, als alles vorbei war, meldete das ZDF Entwarnung: „Nichts passiert!“, meinten die TV-Leute zum 2:0 zwischen Dynamo Dresden und Union Berlin. Nichts passiert? War ich, der SPORT BILD-Reporter, im falschen Film?
Ich habe alles persönlich miterlebt, was am Samstag in Dresden passiert ist. Ich stand nicht irgendwo, sondern mittendrin in Block K2 des Rudolf-Harbig-Stadions. Dort, wo die fanatischen Dynamo-Fans standen und ihr eigenes Spiel gegen Union Berlin betrieben. Ist denn nichts passiert, wenn ich Angst um mein Leben haben muss? Wenn Steine fliegen?
Der Samstag hat harmlos begonnen. Um neun Uhr, fünf Stunden vor Spielbeginn, bringen sich am Stadion 50 Polizisten in Stellung. Insgesamt 1300 Beamte sind im Einsatz plus 360 Ordner.
Das Spiel gegen Union Berlin findet vor knapp 19000 Zuschauern statt – und gehört zur Gefahrenstufe eins. Als gegen halb eins die 2000 Fans aus Berlin da sind, werden sie von Polizisten aus drei Bundesländern begleitet, während über ihnen ein Hubschrauber kreist.
Und das soll alles normal sein?
Der Weg zum Stadion ist wie Viehtreiberei: Die Union-Fans müssen durch die Lennéstraße, wo auf beiden Seiten Hunderte von Dynamo-Fans warten. Auf polizeiliche Anweisungen über Lautsprecher („Geht ins Stadion, sonst werden sich die Beamten mit euch beschäftigen!“) reagiert niemand. Ich stehe mit Dynamo-Anhängern auf dem Gehweg. Links von mir ein glatzköpfiger Jugendlicher mit Bomberjacke und Springerstiefeln.
Nervös tigert er auf und ab. Er wartet sehnsüchtig auf Gegner....
Wie vor einer Woche. Da lieferten sich Dynamo-Krawallmacher am Rande der Partie bei den Hertha-Amateuren eine wilde Schlacht mit Berliner Hooligans. Es gab 22 Festnahmen. Unter den 38 Verletzten waren 23 Polizisten. Anschließend gab es den Gewalt-Gipfel in Frankfurt.
Und heute? Die Meute benimmt sich, als hätte sie Stierblut getrunken. Hunderte Stinkefinger werden den Dresdnern entgegengestreckt. Immer wieder diese Rufe: „Scheiß Dynamo!“ Und: „Deutschland den Deutschen, Sachsen raus!“
Die Dresdner antworten wie Nazis: „Berlin, Berlin, Juden Berlin!“
Es sind zu wenig Polizisten da, 50 Meter breite Lücken tun sich auf. Plötzlich fliegt aus den Reihen der Union-Fans eine Banane. Das ist eine Provokation: In Dresden gab es zu DDR-Zeiten keine Bananen, in Ost-Berlin schon. Dann zündeten die Berliner eine Rakete, die einen Dynamo-Fan trifft. Der Konter folgt sofort.: Flaschen und Steine fliegen in die Berliner Menge, die Bedrohung steigt.
Und ich plötzlich mittendrin.
Später wird die Polizei 14 Strafanzeigen melden: fünf wegen versuchter Körperverletzung, fünf wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, drei wegen Beleidigung und eine wegen Wiederstand – und wird stolz auf diese Zahlen sein.
Das soll wirklich normal sein?
Schweiß auf der Stirn. Angst pur. Aber es gibt kein Entkommen: Der junge Neonazi neben mir provoziert, ich blicke in hasserfüllte Fratzen von Union-Fans. Weil ich geografisch auf der Seite von Dynamo stehe, werde ich zum Kampfaufgefordert. Wie komme ich hier raus?
Wieder eine Detonation, wieder fliegen Flaschen. Ein Union-Fan hat eine Platzwunde. Zehn Minuten später ist die Meute weg. Weiter geht´s zum Block K2.
Eigentlich soll ein Fotograf mit. Aber die Angst ist größer als der Mut – eine Flasche hatte um Zentimeter seinen Kopf verfehlt. Er fotografiert vom Spielfeldrand aus.
Die Leute im Fanblock sind jung., die meisten zwischen 16 und 20. Viele tragen Bomberjacken und Trainingshose, einigen hängen schwarze Handschuhe aus den Hosentaschen – das geheime Zeichen heißt: Ich bin bereit für die Schlacht nach dem Spiel. „Wegen der Handschuhe“, beklagt sich einer auf der Toilette, „wurde ich schon am Bahnhof von den Bullen gefilzt.“ Er riecht stark nach Bier, als er das sagt.
Um als Reporter nicht aufzufallen, tippe ich mir Notizen ins Handy. Ich erschrecke einmal mehr. Die Dynamo-Fans um mich herum haben nur ein Ziel: Diffamierungen gegen Union. Nazitum, Rassismus und Homosexualität, alles dabei.
Erst: „Ihr seid Preußen, asoziale Preußen, ihr schlaft unter Brücken oder in der Bahnhofsmission!“ Dann: „Auf dem Fußballplatz liegen Leichen mit aufgeschlitzten Bäuchen, in den Bäuchen Messer, wo draufsteht: Wir sind besser!“ Und: „Ihr habt bezahlt, ihr kriegt auf´s Maul!“ Danach: „Hauptstadt der Schwulen, ihr seid die Hauptstadt der Schwulen!“ Der Tiefpunkt: „Berlin, Berlin, Juden Berlin!“
Dann passiert es: Einer rempelt mich mit Wucht von hinten. Absichtlich. Ich drehe mich um, merke, was los ist. Kurz darauf geht in der Union-Kurve eine Rauchbombe los. Hinter mir singen acht Leute: „Schreib´s auf, schreib´s auf!“ Ich bin enttarnt. Und alleine. Offenbar habe ich zuviel ins Handy notiert. Oder einer hat mitgelesen. Ich schaue mir die Leute an: bullige Typen! Dann kommt ein Kamerateam zum Block. „Der Presse auf die Fresse!“, schreit der Mob. Hinter mir ruft einer: „Hier, hier ist einer von der Presse im Block!“ Wo sind die Polizisten oder Ordner, die eingreifen, falls ich geschlagen werde?
Ich höre auf mit den Notizen. Aber wenn ich jetzt gehe, ist das auffällig – die Typen könnten mir folgen. Kurz vor Schluss schleiche ich in einer Gruppe aus dem Block. Erst im Auto fühle ich mich zum ersten Mal seit drei Stunden sicher.
Nachdem das ZDF nichts gesehen haben will, denke ich: Wenn antisemitische Sprüche und Steinwürfe normal sind, dann: Gute Nacht. Ich denke an Sitzungen der Vorwoche. An DFL, DFB, die Klubs. Wissen die überhaupt, worum es geht? Ich wette drauf keinen Zwanziger.
Quelle: SPORT BILD-Printausgabe, 08.11.2006
PSM